“Jetzt ist die Zeit, zu rekrutieren”

Viele Teilnehmer an Coronademos haben (noch) keine Berührung mit der extremen Szene.
Röthis Benjamin Gunz kennt sich aus im Land, wenn es um radikale Tendenzen und Gruppen geht. Er arbeitet in den Bereichen Gewaltberatung und Extremismusprävention im Institut für Sozialdienste (IfS). Das macht er dort:
Im VN-Interview spricht er über die Vorarlberger Szene der Coronaleugner, über Demonstraten und Maßnahmenkritiker und wie sie mit Verschwörungstheoretikern zusammenhängen.
Wie setzt sich in Vorarlberg die Gruppe der Corona-Leugner und Maßnahmenkritiker zusammen?
Sie ist bunt durchgemischt. Die Hardcorelinken oder Hardcorerechten sind nicht vorne dabei. Aber es laufen Menschen mit, die Tendenzen in die rechte Szene haben. Eine einzige rechte Gruppe kann man aber nicht ausmachen. Reichsbürger und Rechtsstaatverweigerer sind dabei und welche, die Verschwörungsinhalten nachgehen. Gleichzeitig finden sich Menschen, die gegen diese Verschwörungsthematiken sind, denen es aber um Meinungsfreiheit geht. Der große Kern ist eigentlich die Bevölkerung, die schreit. Diese Menschen wollen Klarheit und haben keine Berührungspunkte zu den vorher genannten Gruppen. Das Risiko ist, sie nun in Kontakt miteinander kommen.
Nähern sich die Gruppen an?
Ich bin überzeugt, dass viele gar nicht wissen, wer neben ihnen steht. Viele haben keine Berührung mit einer linken, rechten oder sonstigen Szene. Für sie sind einfach die Maßnahmen nicht mehr tragbar. Wenn die Coronamaßnahmen vorbei sind, wird sicher ein Teil wieder in den normalen Alltag übergehen. Aber ein Teil ist gefährdet oder wurde bereits in diese Radikalisierungsschienen hineingezogen.
Sie beschäftigen sich auch mit Sekten. Finden Sie in der Coronaleugnerszene auch sektenhafte Züge?
Politische Gruppen und Sekten wissen, dass jetzt die Zeit ist, zu rekrutieren. Eine Sekte hat ihren Ausgangspunkt eigentlich in einer Kernreligion, von der sie sich abspaltet. Unter den Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, finden sich viele, die auch von Sekten angesprochen werden, aber auch von anderen mystischen Dingen, zum Beispiel von Schamanenthemen. Viele finden in der Spiritualität ein Stück Halt.
Wie kommt man mit diesen Verschwörungsmythen in Berührung?
Solche Mythen verbreiten sich vor allem auf Social Media. Wir kennen massenhaft Gruppen auf Facebook.
Wenn es um die Frage geht, wie sich die Themen verbreiten, sprechen wir oft über den Messengerdienst Telegram. Facebook spielt also auch eine Rolle?
Ja. Bei Jugendlichen zwar kaum, aber ab 20 wird es stärker. Wir merken, dass Menschen über Whatsapp in einschlägigen Gruppen landen und dort verbleiben. Ich habe Jugendliche bei mir, die in rechten Gruppen gelandet sind und nicht wissen, was sie da tun. Sie erhalten aber die Macht, plötzlich ein Anführer zu sein. Da spreche ich nicht von 18-Jährigen, sondern von 14-Jährigen.
Wie wirkt sich das aus?
Auf einer Demo in Wien hat ein Junge auf der Bühne erklärt, dass er die Maskenpflicht ablehnt und alles furchtbar findet. Wie kann ein Kind so etwas selbstständig tun wollen? Man muss davon ausgehen, dass dieses Kind instrumentalisiert wurde.
Auf den Demonstrationen in Vorarlberg sind konstant mehrere 100 Menschen. Wie groß ist die Szene?
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber wenn man die medial berichteten Teilnehmerzahlen betrachtet, auch im Bregenzerwald, dann sieht man, dass es nicht wenig Menschen sind. Viele pendeln nicht mit. Nur ein harter Kern befindet sich auf allen Demonstrationen. Deshalb ist es schwierig einzuschätzen.
Wird die Zahl der Teilnehmer wachsen?
Also wenn die Gastroöffnung nicht funktioniert, wird es schwieriger. Der Frust, dass der Vorarlberger Modellversuch in Wien nicht unbedingt positiv gesehen wird, ist auch in meiner Klientel spürbar. Wenn der Modellversuch insgesamt wieder abgebrochen wird, kann es zu einem Aufruhr kommen und mehr Menschen auf die Straßen bringen.
Ein gescheiterter Modellversuch könnte gefährlich werden?
Nicht im Sinne, dass es zu Ausschreitungen kommt. Aber die Gefahr ist, dass sich Menschen bündeln. Wenn der erste Stein fliegt, wird es Reaktionsketten geben. Ich weiß, dass das der Verfassungsschutz in Vorarlberg sehr gut beobachtet und unter Kontrolle hat. Ich habe nicht die Panik, dass alles explodiert. Aber die Dynamik, die diese Frustration auslöst, kann zu Kettenreaktionen führen.
Das komplette Video zum Ansehen:
Videoproduktion und Schnitt: Matthias Rauch
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