Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Liebe Grüße aus dem Muster-Ländle

Vorarlberg / 22.03.2021 • 18:23 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Vorarlbergerinnen und Vorarlberger, ich weiß: Neid ist eine unschöne Untugend, wenig kleidsam und kratzig anzufühlen, sowohl für die Neidischen als auch für die Beneideten. Trotzdem, ganz ehrlich: ein bisschen neidisch bin ich schon. Unablässig darf ich dieser Tage via Facebook und Instagram, in Zeitungen und im Fernsehen miterleben, wie mir Vorarlberger Freundinnen, Familienmitglieder und der Chefredakteur dieser Zeitung mit professionell gezapften Bieren und perlenden Gespritzten zuprosten, aus dem Inneren von Wirtshäusern und aus Gastgärten, die trotz missgünstiger Witterung geöffnet haben. Liebe Grüße aus der Erkenntnis- und Pilotregion, aus dem Corona-Musterländle quasi. Danke. Während wir hier im Osten vor dem vierten Lockdown stehen, ohne dass der dritte je richtig aufgehört hätte. (An dieser Stelle darf ich ohne jeglichen Hintergedanken bemerken: Nicht nur der Neid ist ein schlecht sitzendes Sakko, sondern auch die Schadenfreude.)

Dabei ist es nicht so, dass ich es euch nicht gönne, Vorarlbergerinnen: Ich gönne es euch von Herzen. Ihr wart vorbildlich, ihr habt euch an die Regeln gehalten, ihr passt auf euch und andere auf, ihr handelt verantwortungsvoll, und das wird nun belohnt: mit täglichen Neuinfektionszahlen im unteren zweistelligen Bereich, mit einer beneidenswert niedrigen Sieben-Tage-Inzidenz. Man wünschte sich, andere Bundesländer würden von euch lernen, vor allem die beiden, in denen ich Wohnsitze habe und die sich derzeit täglich mit Höchstwerten abwechseln. In Wien gab es gestern einen traurigen Rekord an belegten Intensivbetten. Weshalb ich im Augenblick eher schwarz sehe für meinen ersten Schanigarten-Frühlings-Spritzwein im kleinen Freundeskreis zu Ostern, auf den ich mich seit Wochen freue.

Vermutlich liegt es an der alemannischen Mentalität, die Wiener und Niederösterreicherinnen halt leider nicht in die Wiege gelegt bekommen haben. Dieses entspannte Laissez-Faire, das das Leben in der Hauptstadt für gewöhnlich so angenehm, ungezwungen und gemütlich macht, kommt uns jetzt ein bisschen in die Quere. Und das mit der gegenseitigen Kontrolle und dem permanenten Sich-kontrolliert-Fühlen funktioniert in einer Millionen-Metropole halt auch nicht so gut – was natürlich die Lebensqualität einer Großstadt mitdefiniert. Man kann sich in der Stadt auch mal ein bisschen gehen lassen, ohne dass es gleich am Marktplatz verhandelt wird.

Aber wenn wir uns jetzt gehen lassen, wenn wir jetzt nachlassen, werden wir halt bestraft. Und insofern ist es gut, wenn uns das Muster-Ländle in den sozialen und den anderen Medien zeigt, was man davon hat, wenn man es nicht tut. Die Welt braucht ein bisschen mehr Vorarlberg, ich habs immer schon gesagt.

„Nicht nur der Neid ist ein schlecht sitzendes Sakko, sondern auch die Schadenfreude.“

Doris Knecht

doris.knecht@vn.at

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.

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