Wir und die anderen
Mitten hinein in eine Gesellschaft, die das kurz aufgeflackerte Wir-Gefühl im Mahlwerk der Pandemie längst gegen das „Wir und die anderen“ vertauscht hat, platzte diese Nachricht und erzielte den erwarteten Effekt. Politiker und Organisationen protestieren dagegen, dass die Türkei in einer Nacht- und Nebel-Aktion unter Recep Tayyip Erdogan die Frauenrechts-Konvention des Europarats aufgekündigt hat. Es hat ihn wohl kaum beeindruckt.
Die Rechte eines Teiles der Bevölkerung mit Füßen zu treten, stand noch jedem populistischen Führer gut zu Gesicht. Und wenn die Proteste abgeebbt sind aus politischem Kalkül, geht er getrost wieder zur Tagesordnung über.
Die hiesigen Nachrichtenkonsumenten sind ohnedies mit der bangen Frage geöffneter Gastgärten vollauf beschäftigt.
Aber das „Wir und die anderen“ ist einfach ein zu guter Nährboden, um dieses kleine missratene Pflänzchen nicht wuchern zu lassen. Ist Frauen schlagen eines Tages wieder ein Kavaliersdelikt? Gehört es bald wieder zum guten Ton, einen Teil der Gesellschaft büßen zu lassen fürs eigene Unvermögen?
Die Vorgänge am Bosporus sind unerträglich, lange schon. Aber den Rest der Welt, den die Corona-Pandemie eigentlich hätte wachrütteln sollen, den schläfert sie zusehends ein. Wir werden höllisch aufpassen müssen, dass wir uns nicht eines Tages verwundert die Augen reiben darüber, was wieder alles möglich ist . . .
Thomas Matt
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