Der tote Zwillingsbruder kommt im Traum zu Ruth

Vorarlberg / 25.03.2021 • 12:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Der tote Zwillingsbruder kommt im Traum zu Ruth
Die Familie bedeutet Ruth Bindemann alles. Ruth mit ihrem Mann Markus, den großen Kindern Breno und Beatrize und den Nachzüglern Heinz und Melissa.

Ruth Bindemann (41) ist ein verwaister Zwilling. Ihr Bruder starb bei der Geburt. Aber Rodolfo besucht sie in ihren Träumen.

Schruns Nelcy war in freudiger Erwartung. Die Brasilianerin rechnete mit Zwillingen. Ihre Intuition sagte ihr, dass in ihrem Bauch zwei Kinder heranwachsen. Im achten Monat rutschte die werdende Mutter auf dem feuchten Küchenboden aus. Sie stieß mit ihrem Bauch gegen die Tischplatte. Wenige Wochen später, am 30. Juni 1979, kam ihre Tochter Ruth in Bélem (das ist eine Großstadt im Norden Brasiliens) zur Welt. Die Geburt war kompliziert. Der verblüffte Arzt sagte zu der Gebärenden: „Da kommt noch ein zweites Baby.“ Nelcy entgegnete: „Das weiß ich.“ Eine halbe Stunde nach Ruth erblickte Rodolfo das Licht der Welt. Der Doktor wickelte das Bübchen in ein Tuch ein und teilte Nelcy mit: „Dein Sohn ist leider tot.“ Ein paar Tage später tröstete er sie mit den Worten: „Sei nicht traurig Mutter. Gott weiß genau, was er tut. Wenn der Bub überlebt hätte, wäre er beeinträchtigt gewesen.“

Rodolfo begleitete sie in der Kindheit

Als Ruth ein paar Jahre alt war, klärte die Mutter das Mädchen auf. „Du hast einen Zwillingsbruder gehabt. Aber er verstarb bei der Geburt.“ Dieser Bruder besuchte Ruth in ihren Träumen. „Bis zum Alter von zwölf Jahren habe ich ganz oft von Rodolfo geträumt“, erzählt Ruth (41), „es waren schöne, lebendige Träume.“ Im Traum spielten die Zwillinge immer miteinander. Im Traum war ihr Zwillingsbruder am Leben und völlig gesund. „Ich habe nie geträumt, dass er tot oder gehandicapt ist.“ Ruth wurde größer. Und mit ihr Rodolfo. Von Traum zu Traum war er, wie sie, wieder ein Stück gewachsen. Rodolfo war Ruths ständiger Begleiter in der Kindheit. „Es war, als ob ich in den Nächten immer bei ihm gewesen wäre.“ Als Ruth zwölf Jahre alt war, verabschiedete sich Rodolfo für lange Zeit von seiner Zwillingsschwester. „Wir spielten besonders lange miteinander und haben viel gelacht“, erinnert sie sich an die letzte Traumbegegnung, die sie als Kind mit Rodolfo hatte.

“Ich bin überzeugt, dass Rodolfo und ich uns im Himmel wiedersehen werden.”

Ruth Bindemann, verwaister Zwilling

Er kam erst wieder – im Traum – zu ihr, als sie Mitte 2o war. Es überraschte Ruth, dass er als Erwachsener kam. „Rodolfo war jetzt ein schöner, junger Mann. Wir wohnten in der Nähe, trafen uns und redeten miteinander.“ Danach ging er wieder für viele Jahre. „In den letzten fünf Jahren habe ich aber wieder ein paar Mal von ihm geträumt.“ Der letzte Traum beunruhigte und schockierte Ruth, die sich mit ihrem Mann Markus und ihren vier Kindern in Vorarlberg ein neues Leben aufgebaut hat.  „Ich träumte, dass Rodolfo im Rollstuhl sitzt. Er konnte nicht sprechen, wolle mir aber etwas sagen. Eine Krankenschwester war bei ihm, sie war ungeduldig mit ihm. Ich sagte zu meinem Bruder: ,Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin da.‘ Er antwortete: ,Das weiß ich.‘“ Am nächsten Morgen stand Ruth mit dem unguten Gefühl auf, dass ihr Bruder nicht gut versorgt ist. „Das hat mich aufgewühlt.“ Außerdem rätselte sie darüber, was Rodolfo ihr sagen wollte. „Ich glaube, er wollte mich in meinem Berufswunsch bestärken. Wenn ich mit meinem Pädagogikstudium fertig bin, möchte ich mit gehandicapten und traumatisierten Kindern arbeiten.“

Ruths ungewöhnliches Traumleben beschäftigte auch ihre Familie. „Meine älteste Schwester vermutet, dass mein Zwillingsbruder noch am Leben ist und der Arzt ihn nach der Geburt verkauft hat.“ Ruth selbst hofft auf eine echte Begegnung mit ihrem Bruder, spätestens nach ihrem Tod. Sie ist überzeugt: „Im Himmel werden Rodolfo und ich uns wiedersehen.“

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