Viel Tunnel, wenig Licht

Vorarlberg / 26.03.2021 • 18:15 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Die Glasfenster von Martin Häusle erzählen auch die Geschichte von der „Vertreibung aus dem Paradies“. Thomas Matt
Die Glasfenster von Martin Häusle erzählen auch die Geschichte von der „Vertreibung aus dem Paradies“. Thomas Matt

Vielleicht feiern wir heuer den ehrlichsten Palmsonntag seit Langem.

Schwarzach Es wäre ja alles da für einen prächtigen Palmsonntag: die Sonne, die Palmbuschen, die Sehnsüchte, die vor allem. Was gäben wir jetzt nicht für einen, der wüsste, wo’s langgeht? Ganz wie damals, vor 2000 Jahren. Was haben sich die Verzagten und Geknechteten nicht alles versprochen von diesem Jesus aus Nazareth! Ihr Jubel klang erwartungsschwanger. Erlösung tat not, endlich Erlösung!

Doch, dieser Palmsonntag 2021 hätte echt gute Karten als würdiger Nachfolger. Und doch fühlt er sich nicht so an.

Es fehlt das Pulkgefühl

Die Feldkircher werden auch heuer nicht in einer Prozession von der Frauenkirche zum Dom ziehen wie in all den anderen Jahren. „Theoretisch wäre es gegangen“, überlegt Dompfarrer Fabian Jochum, dann schüttelt er den Kopf: „Maskenpflicht auch im Freien und zwei Meter Abstand …“, das wäre nichts geworden. „Die Palmprozession lebt doch von diesem Pulkgefühl“, sagt er und zitiert aus dem Psalm 42: „Das Herz geht mir über, wenn ich daran denke: wie ich zum Haus Gottes zog in festlicher Schar, mit Jubel und Dank in feiernder Menge.“

Nein, solche Gefühle weckt der Palmsonntag 2021 nicht. Er gleicht mehr seinem Vorgänger, der Corona ganz zum Opfer fiel. Er erinnert nicht bunt und fröhlich an den Einzug eines Königs in Jerusalem und den Anbruch einer neuen Zeit, sondern eher noch an die Vertreibung aus dem Paradies. Der Satteinser Künstler Martin Häusle hat diese dramatische Wende der Menschheitserzählung in den 1950er Jahren in einem Glasfenster des Feldkircher Doms St. Nikolaus dargestellt.

Als die Corona-Pandemie vor einem Jahr über die Welt hereinbrach, hat sie uns da nicht aus dem Paradies unserer scheinbar gut abgesicherten Behaglichkeit vertrieben? Die Welt vor dem Virus drehte sich umtriebig und laut. Nichts schien unmöglich. Alles strebte nach vorn. Die Wirtschaft raste von Erfolg zu Erfolg. Es schien immer so weiterzugehen, ohne Ende.

Und heute? Hat der Mensch im grundlegend missverstandenen Auftrag „Macht euch die Erde untertan“ das entscheidende eine Mal zu oft eingegriffen in die Natur. Hat er vergessen, dass er Teil von ihr ist und jede neuerliche Vergewaltigung auf ihn zurückfällt? Der Philosoph Philipp Blom widmet dieser Frage sein neues Buch. Fabian Jochum nickt. Er muss an die frühen Christen denken und deren Utopien. Wie schreibt Paulus im Galaterbrief? „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer‘ in Christus Jesus.“ Wie weit haben wir uns davon entfernt.

„Eigentlich ist dieser Palmsonntag heuer viel ehrlicher“, behauptet Jochum mit einem Blick auf die Liturgie: Die Gottesdienste beginnen triumphal, aber sie enden sehr nachdenklich. Der Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel, „das hat auch etwas Lächerliches“. Doch jedes Lächeln erstirbt auf den Lippen spätestens dann, wenn in der Mitte der Feier die Leidensgeschichte gelesen wird. Der Palmsonntag endet mit einem großen Fragezeichen. Aus dem Gedächtnis zitiert der langjährige Jugendseelsorger einen Liedtext: „Gestern schrien sie begeistert, heute hörst du keinen mehr, standen jubelnd auf den Straßen, heute sind die Straßen leer.“ Das hat etwas bedrückend Aktuelles.

Fasten kaum zumutbar

Wo geht die Reise also hin? Das weiß niemand. Auch das ist wie damals. Er würde ja gerne „mit frohem Herzen auf das Osterfest zueilen“, wie es im Stundengebet heißt. Aber Jochum weiß um die Müdigkeit der Menschen, um ihre Zweifel und Ängste, die empfundenen Belastungen. Selbst die Fastenzeit schien die Kirche den Menschen heuer nicht zumuten zu wollen: Die früher wie ein Flaggschiff gefeierte Aktion trocken fiel stillschweigend unter den Tisch. Wenn wir schon eilen dieser Tage, „dann allenfalls zum ersten Bier ins Wirtshaus“, schmunzelt der Dompfarrer mit Hörbranzer Wurzeln, der die augenblickliche Verfassung der Menschen mit seinen Fahrten durch den Pfändertunnel vergleichen mag. „Du weißt genau, das Licht am Ende des Tunnels kommt.“ Aber der Tunnel macht eine Kurve. Du kannst das Licht nicht sehen. Du siehst nur die Markierungen in den Seitennischen: noch 3,5 km, dann 2,5, dann 1,8, dann 0,9… Die Frage ist, ob wir nicht in den meisten Phasen unseres Lebens das Ende nicht sehen.“ Und dennoch voranschreiten. „Weil wir nämlich Stehaufmännchen sind, von Natur aus“, sagt Fabian Jochum und greift damit fast auf die Osternacht vor. Aber erst wollen Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag überwunden werden. Sonst wird das nämlich nix mit der Auferstehung. TM

Dompfarrer Fabian Jochum.
              
              Steinmair/Kath. Kirche Vorarlberg

Das Geschehen der Osterwoche

Kleine Leseanleitung aus dem Neuen Testament: Das geschah in der Karwoche vor 2000 Jahren.

Palmsonntag Nach dem Bericht aller vier Evangelien zieht Jesus feierlich in Jerusalem ein. Er reitet auf einem jungen Esel in die Stadt. Das Volk begrüßt ihn wie einen König (Markus 11,1-11).

Montag Jesus vertreibt die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Er provoziert die Priester. Aber noch fürchten sie seine Beliebtheit beim Volk (Markus 11,15-19).

Dienstag Jesus lehrt im Tempel. Er stellt sich den Fragen der Schriftgelehrten, weicht geschickt aus und entwirft in gewaltigen Bildern noch einmal seine Lehre und das bevorstehende Ende (Markus 12-13).

Mittwoch Salbung in Betanien, Jesus sagt seinen Tod voraus (Markus 14,3-9). Judas kommt mit den führenden Priestern überein, Jesus zu verraten (Markus 14,10-11).

Gründonnerstag Das letzte Abendmahl mit den zwölf Aposteln in Jerusalem. Danach nimmt Jesus die Jünger mit in den Garten Getsemani, um zu beten. Jesus wird verhaftet, nachdem Judas ihn mit einem Kuss verraten hat (Matthäus 26,17-56).

Karfreitag Jesus wird vor die führenden Priester gebracht (Matthäus 26,57-68), danach vor den Hohen Rat, das oberste Gericht der Juden. Anschließend wird er Pontius Pilatus vorgeführt, der ihn zu Herodes zu einem Verhör schickt (Lukas 23,1-12). Pilatus fällt schließlich das Todesurteil. Jesus wird nach Golgota gebracht und gekreuzigt (Markus 15,21-41). Nach seinem Tod wird der Leichnam vom Kreuz abgenommen und im Grab des Josef von Arimathäa, eines reichen Juden, beigesetzt (Markus 15,42-47).

Karsamstag Die kirchliche Tradition nennt ihn „Tag der Grabesruhe“. Sie betont damit, dass Jesu Tod am Kreuz kein Taschenspielertrick war. Er ist wirklich gestorben und „hinabgestiegen zu den Toten“. Das ist Voraussetzung für die Auferstehung.

Ostersonntag Jüngerinnen von Jesus, die den Leichnam salben wollen, finden sein Grab leer vor und erfahren als Erste von der Auferstehung (vgl. Lukas 24,1-12). Die Jünger, denen sie von ihrem Erlebnis berichten, schenken ihnen keinen Glauben. Doch dann begegnen zwei von ihnen auf dem Weg zum nahe gelegenen Emmaus selbst dem auferstandenen Herrn (Lukas 24,13-35). In den folgenden Tagen begegnen auch die anderen Jünger dem Auferstandenen.