„Die Leute werden müde“

ifs Bludenz: Familienkonflikte und Trennungen haben seit Corona merklich zugenommen.
Bludenz Die Coronapandemie ist für viele keine einfache Zeit. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass mehr Konflikte in Familien entstehen. Eine erste Anlaufstelle ist da die regionale Sozialberatung ifs Vorarlberg in Bludenz, zu der Eltern, Paare, Kinder und Jugendliche, aber auch Alleinstehende kommen können. Sie alle brauchen einen Rat und eventuell sogar längerfristig Hilfe. Die Sozialberatung in Bludenz, die es seit 1977 gibt und seit 15 Jahren in der Klarenbrunnstraße 12 angesiedelt ist, ist der erste Ansprechpartner in der Region für Bedürftige. Die Nachfrage ist mittlerweile so groß, dass die Geschäftsstelle 2019 um eine Etage aufgestockt wurde. Nicht nur vor Ort beraten die Mitarbeiter des ifs, sondern sie machen auch Hausbesuche, gehen mit Jugendlichen draußen spazieren und bieten einmal im Monat einen Sprechtag im Montafon und Klostertal an. Kontakt aufnehmen und sich beraten lassen kann man auch telefonisch oder per Video-Anruf. „Ich bin verblüfft, wie gut das funktioniert hat“, sagt Michael Simon, Geschäftsstellenleiter in Bludenz.
Trennungsthemen häufen sich
2000 Erstanfragen gab es letztes Jahr – für Bludenz liegt die Zahl damit im langjährigen Durchschnitt. Merklich zugenommen haben seit letztem Jahr aber die Themen Trennung und Scheidung. Viele Betroffene wollen sich zunächst einmal über die möglichen Konsequenzen aufklären lassen, bevor sie eine endgültige Entscheidung fällen. Simon vermutet, dass die vermehrten Fälle auf Corona zurückzuführen sind.
Auch die Erziehungs- und Familienberatung verspüre in letzter Zeit einen stärkeren Zulauf. Laut Simon gebe es momentan mehr Konflikte zuhause. Eltern wie Jugendliche wollen bei der ifs-Beratungsstelle einfach mal „ihren Frust ablassen“ und sich Unterstützung holen, so Simon. Homeschooling, Homeoffice, Überlastung, Zukunftsängste, eine unsichere Perspektive und keine Freizeitangebote als Ausgleich machen manchen Familien zu schaffen. Dabei stammen die Anfragen zu 60 Prozent von Erwachsenen und zu 40 Prozent von Jugendlichen. „Die meisten von ihnen wollen eine weiterführende Beratung“, weiß Simon.
Sorgen belasten das Miteinander
Durch die oftmals begrenzte Quadratmeteranzahl in den Wohnungen und das ständige Aufeinanderhocken seien manche Eltern mit der aktuellen Situation überfordert. „Die Probleme werden durch den Lockdown transparenter“, sagt Simon. Man habe nun mehr Zeit, sich mit der Beziehung und sich selbst auseinanderzusetzen. Sozusagen ist das Coronavirus nur der Auslöser, die Ursachen für eine Trennung liegen dagegen meistens woanders. Noch dazu kommt, dass manche Erwachsene um ihren Arbeitsplatz bangen müssen oder aufgrund von Kurzarbeit kaum Einkommen haben. Jugendliche flüchten sich aufgrund der Kontaktbeschränkungen in die digitale Welt, versuchen durch soziale Medien das echte Zusammentreffen zu kompensieren. All dies führe zu Konflikten. Immerhin können nun Jugendliche und Kinder wieder Sport in Vereinen ausüben – eine Entlastung für die Eltern.
Der Schwerpunkt der ifs-Sozialberatung in Bludenz liegt aber auf der Existenzsicherung. Die Anfragen diesbezüglich seien laut Simon – auch schon vor Corona – konstant hoch. Er befürchtet jedoch eine „nachlaufende Welle“, die abhängig von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der Kurzarbeit ist. Die Spitze sei eventuell noch nicht erreicht. Verlieren Familien oder Einzelpersonen eine Wohnung, sucht die ifs gemeinsam mit ihnen nach einer neuen Bleibe, was in Vorarlberg kein leichtes Unterfangen ist. Bis jetzt konnte man aber in über 80 Prozent der teils schwierigen Fälle eine Wohnung finden.
Häusliche Gewalt nimmt zu
Ebenfalls vermehrt in Anspruch genommen wird momentan die psychologische Beratung. „Die Leute werden einfach müde“, sagt der Sozialarbeiter. Die häusliche Gewalt habe zwar im Raum Bludenz letztes Jahr nicht zugenommen, aber betrachtet man das ganze Bundesland, so gab es laut Ulrike Furtenbach, Leiterin der Gewaltschutzstelle des ifs Vorarlberg, 2020 339 und damit zwölf Prozent mehr Betretungsverbote als noch 2019. Isolierung, Mehrfachbelastungen und Ängste seien mögliche Stressfaktoren, die zur häuslichen Gewalt führen können.
Die 14-tägigen Betretungsverbote, die von der Polizei ausgesprochen werden, seien laut Furtenbach eine wichtige Schutzmaßnahme. Die Gewaltschutzstelle nimmt zu den Betroffenen Kontakt auf, steht ihnen beratend zur Seite und gibt ihnen weitere Informationen an die Hand. Ein Strafverfahren ist für viele Betroffene eine enorme Belastung. Die Opfer haben mit Ängsten, Sorgen und Nöten zu kämpfen und sind unsicher, wenn sie im Gericht auf ihren (Ex-)Partner treffen. Die Gewaltschutzstelle begleitet die Betroffenen zur Gerichtsverhandlung, unterstützt sie dabei emotional.
In manchen Fällen passiere die Gewalthandlung nicht zum ersten Mal, erzählt Furtenbach. Manche Frauen seien emotional und/oder finanziell abhängig vom Partner, haben mit ihm gemeinsame Kinder, ein gemeinsames Haus. Und natürlich gebe es ja auch gute Zeiten, die man nicht missen möchte. Daher kann es auch vorkommen, dass die Polizei mehrmals einschreiten muss. VN-JUN
ifs vorarlberg
Gewaltschutzstelle Leitung: Ulrike Furtenbach, Tel. 051755 535, E-Mail gewaltschutzstelle@ifs.at
Beratungsstelle Bludenz Leitung: Michael Simon, Tel. 051755 560,
E-Mail bludenz@ifs.at
Familienberatung Leitung: Michael Thaler, Tel. 051755 530, E-Mail familienberatung@ifs.at
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