Knattern statt läuten

Vorarlberg / 01.04.2021 • 17:50 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Elmar Stüttler baut in dritter Generation Rätschen für die Vandanser und Tschaggunser Kinder. <span class="copyright">JUN</span>
Elmar Stüttler baut in dritter Generation Rätschen für die Vandanser und Tschaggunser Kinder. JUN

Rätschenbauer Elmar Stüttler spricht über das Brauchtum an Ostern und den Glauben.

Vandans Wenn Elmar Stüttler in seiner Werkstatt die Kurbel dreht, knattern die Hämmer nacheinander ohrenbetäubend laut. Das Rätschen an Ostern hat in Vandans eine lange Tradition. Am gestrigen Gründonnerstag flogen wie jedes Jahr der Legende nach die Kirchenglocken nach Rom. Bis Samstagabend bzw. Sonntagmorgen, also im Zeitraum des Triduum Sacrum, ertönen sie nicht mehr. „Mit dem Gloria hören die Glocken in der Abendmesse am Gründonnerstag auf, zu läuten“, sagt Stüttler.

In dieser stillen Zeit, in der die Glocken verstummen, ersetzen die Rätschen das tägliche Glockengeläut. Die Glocken erklingen erst wieder zu Beginn des Auferstehungsfestes von Jesus Christus im Gottesdienst am Samstagabend. „Das ist ein sehr schöner Brauch an den höchsten Feiertagen im Jahr“, schwärmt der gelernte Tischlermeister. „Durch den Klang der Rätschen spürt man, dass es besondere Tage sind.“ Gekurbelt werden die Rätschen in Vandans von den Erstkommunikanten und Jugendlichen, die normalerweise jeweils um 6, 11 und 18 Uhr am heutigen Karfreitag und morgigen Karsamstag eineinhalb bis zwei Stunden durchs Dorf ziehen würden. Morgens und abends gehen sie jeweils eine kleinere Runde, Ausgangspunkt ist immer der Kirchplatz.

Anders als gewohnt

Heuer findet das Rätschen in Vandans aber anders als gewohnt statt. Am Freitag und Samstag jeweils um 7, 12, 15 und 18 Uhr kommen dieses Mal nur die Firmkinder in den Genuss, von ihrem Balkon oder Garten aus die Rätsche zu kurbeln oder damit eine kleine Runde um ihr Haus zu gehen. Die Rätschenzeiten sind den Kirchenzeiten angepasst, weshalb die Kinder auch nur in dieser Zeit rätschen dürfen. Seit 16 Jahren gibt es bereits diese Tradition in Vandans, damals initiiert von der Volksschuldirektorin Evelyn Stoiser sowie Anna-Maria Zimmermann.

In Tschagguns gibt es dieses Brauchtum mit selbstgebauten Holzrätschen schon länger. Auch für die Tschaggunser Kinder baut Elmar Stüttler Rätschen, die zwischen vier und 20 Hämmer besitzen. Einige von ihnen haben sogar einen Resonanzkasten, damit das Knattern noch lauter wird. Jedes Jahr versorgt Elmar Stüttler bis zu 100 Kinder (aus Vandans und Tschagguns) mit den Holzinstrumenten. Etliche Namen der Kinder samt Jahreszahl stehen mittlerweile auf den Rätschen geschrieben.

„Als Christ finde ich es wichtig, dass man dieses Brauchtum beibehält.“

Bereits in dritter Generation baut Elmar Stüttler die Rätschen, die älteste ist von 1952. Diese Fertigkeit wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. „Das liegt bei uns im Blut.“ Sein Sohn wird das Rätschenbauen aber nicht fortführen, da er sich beruflich in eine völlig andere Richtung orientiert hat. Aber Elmar Stüttler ist überzeugt, dass sich im Verwandschaftskreis – er hat neun Geschwister – sicherlich jemand finden wird, der das Handwerk weiterführt. „Als Christ finde ich es wichtig, dass man dieses Brauchtum beibehält.“ Circa 150 Rätschen hat er bis jetzt gebaut und diese an die Familien entweder verkauft oder verliehen. „Ich mache wenn dann gleich 30 bis 50 Rätschen auf einmal“, weil die Arbeit so weniger aufwendig sei. Normalerweise würde man für den Bau einer Rätsche eineinhalb bis zwei Tage brauchen, wenn man mehrere auf einmal anfertigt, schrumpft die Arbeitszeit auf fünf bis sechs Stunden pro Rätsche. Nur alle paar Jahre stellt er deshalb wieder einen Schwung der lauten Instrumente her.

Bei Wind und Wetter wird gerätscht

Zur Herstellung verwendet er meistens Buchenholz – ein „sehr dankbares Holz“, da es unempfindlicher ist. „Das hat sich bis jetzt sehr gut bewährt“, weiß der 68-Jährige. Nichtsdestotrotz sollte das Holz nicht nass werden, weshalb er empfiehlt, bei Regen einen Regenschutz anzuziehen, um das Buchenholz vor Nässe zu schützen. Hin und wieder muss trotzdem eine Rätsche „geflickt“ werden, sagt Stüttler, da sich das Holz bei Nässe verzieht und aufquillt. Das Reparieren sei aber kein Problem. „Das ist alles auswechselbar.“

Elmar Stüttler war über 30 Jahre lang Tischler und darin auch sehr erfolgreich. Jetzt macht er Tischlerarbeiten nur noch als Hobby, „damit ich es nicht verlerne“, sagt Stüttler, der mit 53 Jahren seinen Beruf an den Nagel gehangen und dafür mit seiner Frau „Tischlein Deck Dich“ gegründet hat. 60 bis 70 ehrenamtliche Wochenstunden verbringt er nun mit der Verteilung von Lebensmitteln an bedürftige Menschen in ganz Vorarlberg.

Der Weg aus der Lebenskrise

Die Nächstenliebe und der Glaube bedeuten dem Christen sehr viel, weshalb er nach seiner Tischlerkarriere Theologie studiert hat und 2000 zum Diakon ernannt wurde. Doch wie kam sein Sinneswandel? Anfang bis Mitte der 90er Jahre geriet er in eine Lebenskrise. „Als Tischler habe ich gut gelebt, ich hatte viele Aufträge, konnte mir alles leisten, kaufte immer teure Autos“, erzählt er. Am Ende hat er den Beruf als Tischler nur noch wegen des Geldes gemacht, die Leidenschaft ging dabei komplett verloren. „Meine Geldgier ist immer größer geworden.“

Er wurde depressiv, hatte Suizidgedanken, sah keinen Sinn mehr im Leben. Doch die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Er betete und betet immer noch jeden Tag ein bis zwei Stunden. „Durch den Glauben und die Gnade Gottes bin ich wieder zurück auf den Weg gekommen“, sagt Stüttler und erinnert sich, dass er damals im Radio einen Bericht über die Tafel in München gehört hat und ein solches Projekt unbedingt auch in Vorarlberg umsetzen wollte. „Ich habe meinen Weg erkannt und genutzt.“ Nun möchte er gerne seinen Mitmenschen etwas zurückgeben und als Diakon seinen Dienst am Menschen leisten. Das erfüllt ihn und gibt ihm wieder einen Lebenssinn. „Denn, wenn wir die Erde verlassen, können wir nur das mitnehmen, was wir auf der Erde verschenkt haben.“ VN-JUN

Zur Person

Elmar Stüttler

Geboren 14. Juni 1952

Familie verheiratet, ein Sohn

Wohnort Vandans

Beruf Tischlermeister

Hobby ehrenamtliche Arbeit bei Tischlein deck dich

Lebensmotto „Wenn wir gehen, können wir nur das mitnehmen, was wir verschenkt haben.“

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