Hildegard Breiner wird die “Glatzenkinder” von Tschernobyl nie vergessen

35 Jahre nach der ultimativen Atomkatastrophe sind die Bilder für die Aktivistin lebendig geblieben
Bregenz Die Atmomkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 hat die Grande Dame der Anti-Atomkraft-Bewegung auch emotional stark berührt. Zwei Mal war sie seither im Umland des Unglücks. Die Eindrücke von diesen Besuchen bleiben unvergessen.
Bei denkwürdigen Ereignissen weiß man zumeist, wo man war, als man davon erfuhr. Wie war das bei Ihnen, als Sie von Tschernobyl erfuhren?
Breiner Es gab nicht den Moment, an dem die Tragödie publik wurde. Die Informationen kamen damals scheibchenweise. Die Gefühlslage wechselte von Ratlosigkeit zu Schock, als das ganze Ausmaß der Katastophe bekannt wurde. Die sowjetischen Behörden informierten ja erst drei Tage nach dem Unfall.
Welche Gedanken schossen Ihnen durch den Kopf, als die Katastrophe offensichtlich war?
Breiner Ich war fassungslos. Zuvor hatte man uns immer gesagt: Die Chance, dass es zu einem Super-GAU kommt, liegt bei eins zu einer Million. Und dann passiert so etwas doch.
Welche Bilder sind heute noch vor Ihrem geistigen Auge?
Breiner Als ich mit meinem Mann damals von einer Geschäftsreise zurückkehrte, bemerkten wir im Raum Ulm ein umheimliches, grelles Licht. Das hatte mit der Strömung zu tun, die sich schnell nach Mitteleuropa ausbreitete.
Und dann gibt’s die Bilder, die Sie bei ihrem zweimaligen Besuch im Umland von Tschernobyl sahen.
Breiner Ja. Die Glatzenkinder – ich habe sie so genannt – im Krankenhaus von Gomel, die wir besuchten, haben mir das Herz gebrochen. Ich erlebte sie gemeinsam mit ihren Eltern und dem Krankenhauspersonal. Das ging unter die Haut. VN-Redakteurin Marianne Mathis hat diese Besuche und die Hilfe organisiert. Ich konnte erfolgreich Geld sammeln für das Projekt Sonnenschein, mit dem Projekte für alternative Energie an der Universität Minsk finanziert wurden.
Wie haben Sie die unmittelbaren Folgen von Tschernobyl bei uns erlebt?
Breiner Ich weiß noch, wie wir Kindern aus der Nachbarschaft verbieten mussten, in unserem Sandkasten zu spielen. Über Wochen habe ich damals kein frisches Gemüse und keine frische Milch konsumiert. Wolken haben die Radioaktivität schnell nach Europa transportiert, durch den Regen wurde der Boden kontaminiert. Da gab es bestimmte Regionen in Bayern oder der Steiermark, die besonders stark betroffen waren.
Was war in Ihren Augen schlimmer: Tschernobyl oder Fukushima?
Breiner Über die Folgen von Tschernobyl wissen wir viel mehr als über Fukushima. Dort gab es keine radioaktive Wolke, die übers Land zog. Dafür wurde verseuchtes Wasser ins Meer abgeleitet. Man wird sehen, was für Folgen das noch haben wird. Tschernobyl hat uns direkt betroffen.