Wenn Bilder predigen

Den Gemälden des Vorarlberger Künstlers Martin Häusle bin ich zum ersten Mal in Wien begegnet, wo meine Mutter in einem Atelier Bilder restaurierte. Dort beeindruckten mich seine farbintensiven Landschaftsdarstellungen.
Das Licht kommt durch das Dunkel
Als ich in der Dompfarre Feldkirch meine „Lehrzeit“ und mein Praktikum absolvierte, begegnete ich der Leuchtkraft des Malers aus Satteins wieder. Seine Gestaltung der Domfenster taucht das Innere des Gotteshauses in ein ganz besonderes Licht. Dabei beeindruckte mich vor allem seine Umsetzung der Darstellung von der Vertreibung aus dem Paradies. Wir sehen Scheitern und Gottesferne: Mit erhobenen Händen fliehen Adam und Eva vor dem mächtigen Engel, Schlange und Totenkopf unterstreichen die Tragik der Situation. Doch – und das mag eine Botschaft dieser Glaskunst sein – auch durch dieses Bild entfaltet das Glas seine Farbenpracht. Durch die Abbildung des menschlichen Versagens dringt das Licht. So wird das Domfenster zum Sinnbild des Lebens aus dem Glauben. Immer wieder haben Menschen die Erfahrung gemacht, dass gerade durch dunkle Zeiten hindurch Stärkung erlebt wird. Und jeder und jede kann wohl ganz konkrete Beispiele dafür nennen in der Erinnerung an die vergangene, von der Pandemie geprägte Zeit. Die Enkel, die für die Großeltern einkaufen, die Begleitung zum Testen oder Impfen . . .
Glaube im Alltag
In der Folge konnte ich in der Pfarre Satteins pastorale Erfahrungen sammeln – und auch dort begegnete ich dem Schaffen von Martin Häusle. „Jesus als Arbeiter“ heißt das Fresko, welches die Pfarrkirche bereichert. Vor dem Hintergrund einer leuchtenden Landschaft, welche an die Bergwelt des Ländles erinnern mag, sehen wir Jesus in der Werkstatt des heiligen Josef. Die Werkzeuge in Händen steht er im Alltag an der Seite seines Ziehvaters im Mittelpunkt, schaffende Arbeiter sind in den beiden äußeren Feldern tätig. Ganz links hat sich der Künstler selbst als Maurer verewigt. Glaube wird im Alltag gelebt: Diese Botschaft scheint das Bild mit seinen ausdruckstarken Figuren zu vermitteln. Im täglichen Umgang mit den Nächsten, in den Herausforderungen des Berufs- und Familienlebens wird Glaube erfahrbar.
Dass Jesus dabei an der Seite des Menschen steht, drückt der Künstler hier ohne viele Worte aus. In der Darstellung scheint er einerseits am Werk, andererseits mit seiner Aufmerksamkeit auf die Umstehenden ausgerichtet. Engagement vor Ort und Sensibilität für seine Umgebung strahlt diese Christusdarstellung aus. Diese Eigenschaften kennen wir aus vielen Evangelienstellen, und sie können auch uns eine Hilfe sein, wie Alltag gelingen kann. Begegnungen mit Personen, welche uns etwas davon vermitteln, lassen das Grau des Tagtäglichen aufleuchten, ganz wie die strahlende Bergwelt im Hintergrund.
Glaube ist alltagstauglich
Von meinen Begegnungen mit den Menschen im Ländle und den Werken des Martin Häusle vor Ort konnte ich diese Einsicht mitnehmen: Glaube und Gottesbezug können in den Alltag eingebettet werden; und es mögen bisweilen dunkle Begebenheiten sein, durch die sich das Licht Gottes seinen Weg bahnt. Das Bewusstsein, dass Jesus präsent ist, hilfsbereit und aufmerksam, kann uns immer wieder stärken und den Weg für den nächsten Schritt ausleuchten.
Coronabedingt ist Reisen derzeit nur eingeschränkt möglich. Da mag das 55. Todesjahr dieses vielseitigen Künstlers aus dem Ländle eine Einladung zu einer Kulturwallfahrt sein, sich von seinem Schaffen inspirieren zu lassen. Die Predigt seiner Bilder hat mit ihrer Botschaft nichts an Aktualität verloren.

Zur Person
DDr. Thomas Heilbrun
Pfarrer im Seelsorgeraum Hohenems
Geboren 1967 in Berlin
Ausbildung 1985 Matura in Wien; Studium von Sprachen und Theologie in Wien, Canterbury und Rom; 1995 Dr.phil. (Latein / Griechisch); 2003 Dr.theol. (Fundamentaltheologie); 2000 Priesterweihe in Feldkirch
Laufbahn Bis 1995 Lehrtätigkeit am Gymnasium der Wiener Sängerknaben; seit 2003 pastorale Tätigkeit in Hohenems