Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Das bin nicht ich

Vorarlberg / 27.07.2021 • 19:22 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Eine ehemals gut aussehende, nicht mehr junge Schauspielerin öffnete ein Kuvert. Fotos waren geschickt worden. Sie legte sie auf dem großen Tisch aus und war schockiert. Kein einziges Foto war dabei, auf dem sie sich gefiel. Dabei war der Fototermin so gut gelaufen, sie hatte sich so wohl gefühlt. Der Fotograf hatte ihr Komplimente gemacht, selbst in ihrem Alter sehe sie noch aus wie eine Dreißigjährige. Das war übertrieben, aber es schmeichelte ihr. Eine Geschichte in einer großen Zeitung sollte über sie erscheinen. Mit eben diesen Fotos.

Sie rief ihren Agenten an und sagte, die Geschichte mit diesen Fotos dürfe nicht erscheinen. Ungerührt hörte sich der Agent ihren Kummer an. Oft schon hatte er ihr geraten, sich nicht zu verjüngen. Zehn Jahre jünger hatte sie ihr Geburtsjahr angegeben, dann mit dem Älterwerden noch ein, zwei, drei Jahre. Immer mit dieser Angst, keine Rollen mehr zu bekommen. Sie hörte nicht auf den Agenten, der ihr zuredete, eine Charakterschauspielerin sei alterslos. Charakter! Sie sei doch immer eine Art Lauren Bacall gewesen, und die habe auch im hohen Alter noch gespielt. „Ja, aber ich war nicht mit Humphrey Bogart verheiratet“, hatte sie ihm entgegnet. „Und was ist Charakter, bitte!“

Sie beschloss ihren Beruf aufzugeben. Was war sie denn jetzt? Sie hatte keine Kinder, die Männer waren alle davon.

„Was bleibt mir!“, jammerte sie ihrem Agenten vor.

„Ich habe ein Angebot, du müsstest dich allerdings noch ein wenig älter schminken lassen. Willst du eine Indianerin spielen?“

„Lass mich nachdenken“, sagte sie.

In der Nacht wachte sie auf, und der Gedanke, eine Indianerin zu werden, gefiel ihr außerordentlich. Alle sollen sich wundern über mich und mir zu meinem Mut gratulieren.

Seit langem ging sie wieder einmal einkaufen, dezent geschminkt und gut angezogen. Eine alte Dame sprach sie an und fragte, ob sie sich noch an ihre gemeinsame Schulzeit erinnern könne.

„Aber ja!“, sagte die Schauspielerin und freute sich, dass die gleichalte Dame viel älter aussah als sie. Noch ist nicht alles verloren.

Auf die Frage, was sie als nächstes spielen werde, sagte sie: „Eine alte Indianerin.“

„Das finde ich spannend“, sagte die alte Dame, „da brauchst du gar keine Maske mehr.“

Zuhause inspizierte sie sich im mannshohen Spiegel und sagte zu sich: „Alt werden ist nichts für Jammerlappen“.

Das war ein Zitat von Bette Davis. Das Porträt in der Zeitung zerknüllte sie, dann glättete sie es wieder, bügelte es sogar und versuchte sich, an ihr Gesicht zu gewöhnen. Falten Haut, Falten Papier.

„In der Nacht wachte sie auf, und der Gedanke, eine Indianerin zu werden, gefiel ihr außerordentlich.“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.