Vielleicht hätte ich doch erst schauen sollen
Eine Freundin erwägt, sich auch ein Wochenend-Haus zuzulegen. Sie sagte, sie braucht dringend einen Garten, etwas Grünes, einen Ruhepol. Ich sagte: Hast du dir das gut überlegt?
Ich habe mein Sommerhüsle jetzt im 14. Jahr. Ich liebe es. Ich wollte es seit dem Tag, an dem ich es bei einem Spaziergang das erste Mal sah, leerstehend, zuwachsend. Ich konnte es zwei Jahre später kaufen und habe das noch keine Minute bereut. Aber.
„Ich habe so viel geflucht auf dieser Tour, wie, glaub ich, noch nie in meinem Leben.“
„Was, aber?“ sagte die Freundin. Dieses: Von der Welt habe ich nicht mehr viel gesehen, seit ich das Hüsle habe, auch nicht von Österreich. Von der Welt kenne ich seither vor allem das Innere dieses kleinen Hauses, das Grundstück rundherum und die Straße, die es mit der Mietwohnung in Wien verbindet. Ich bin kaum gereist, weil ich keine Zeit habe, weil ich mich ja um Haus und Garten kümmern muss, und kein Geld, weil ich so gut wie alles, was neben dem Lebensunterhalt noch übrig bleibt, dort hineinstecke. Gerade musste der Strom neu gemacht werden, die Wasserleitungen sollte man sich auch anschauen, und natürlich wäre ich auch letztes Wochenende draußen gewesen und hätte rumgewerkelt, repariert, Rasen gemäht, Rosen geschnitten.
Aber letztes Wochenende hatte eine Freundin Geburtstag, und sie wünschte sich von ihren Freundinnen, dass wir gemeinsam auf einen Berg gehen. Ich sagte, schön, ich war wegen dem Haus schon so lang auf keinem Berg mehr, ist das anstrengend, wo wir gehen? Die Freundin sagte, ach, so mittel, das schaffst du schon. Wir fuhren zu fünft in die Steiermark, ließen uns von einem Sessellift ein Stück rauftragen und gingen dann los. Am Anfang ging es eine halbe Stunde eine Wiese hoch, da hätte mich eigentlich schon zum ersten Mal die Bergrettung abholen dürfen. Von dort aus sah man dann, wo wir hingehen würden.
Ich hätte vielleicht doch vorher nachschauen sollen, wie hoch der Hochschwab ist. 2277 Meter. Ich habe so viel geflucht auf dieser Tour, wie, glaub ich, noch nie in meinem Leben. Wir gingen sieben Stunden, die letzten beiden ging es den Berg praktisch gerade hoch, 400 Höhenmeter. Ich wollte mich eigentlich schon unten einfach hinlegen und weinen, aber das geht halt nicht, und ich hatte so einen Zorn, dass mir die Freundin sowas antut, wo sie doch weiß, dass ich das nicht schaffe, dass ich einfach hinaufbohrte, bis ich oben im Schiestlhaus vor einem großen Radler in der wahnsinnigen Aussicht saß. Siehst du, hast es eh geschafft, sagte die Freundin. Ich hab gesagt, NIE WIEDER mache ich sowas, aber jetzt, einen Tag später, bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Es war so schön am Berg; auch wenn ich jetzt vor lauter Muskelkater kaum mehr Rasen mähen kann.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel. Ihr neuer Roman „Die Nachricht“ ist diese Woche bei Hanser Berlin erschienen.
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