Wegen Corona: Das lange Warten eines herzkranken Mannes auf die OP

Siegfried Hämmerle (82) muss nach einem Infarkt am Herz operiert werden. Zu seinem Leidwesen wurde die OP jetzt wegen der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben.
Lustenau „Hast du deine Tabletten schon genommen?“, fragt Rita Hämmerle (81) ihren Mann Siegfried (82). Dieser nickt und vertieft sich wieder in die Zeitung. Rita und Siegfried sind seit 62 Jahren ein Paar. Das gemeinsame Leben hat sie fest zusammengeschweißt. Beiden ist das Wohlergehen des Partners wichtig. „Man schaut, dass es dem andern gutgeht“, zeigt Rita auf, wie es ist, wenn man jemanden tief liebt.
Derzeit ist sie in Sorge um ihren Mann. Vor fünf Wochen erlitt er einen Herzinfarkt. Es war nicht sein erster. Vor 30 Jahren hatte das Herz des gelernten Werkzeugmachers schon einmal gestreikt. „Damals hat man mir eine verengte Ader geweitet. Danach hatte ich keine Probleme mehr.“ Aber für den Zigarrenraucher war der Herzanfall ein Schuss vor den Bug. „Ich habe sofort mit dem Rauchen aufgehört.“
“Ich bin krank, bekomme aber keinen Platz in der Intensivstation, den ich so dringend benötigen würde. Das ist eine Sauerei.”
Siegfried Hämmerle, Herzpatient
Dass ihn jetzt wieder eine Herzattacke ereilte, wundert ihn. „Die Ärzte wissen nicht, warum ich verstopfte Herzkranzgefäße habe. Wahrscheinlich kommt’s vom Leben.“ Siegfried müssen nun drei Bypässe eingesetzt werden. Die OP am offenen Herzen wird in der Klinik in Innsbruck vorgenommen. Doch jetzt bekam Siegfried ein Schreiben von der Klinik, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass die Operation aufgrund der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben werden muss. „Wir von der Klinikleitung sind angehalten, Betten und Intensivkapazitäten für am Coronavirus-erkrankte Menschen bereitzuhalten“, heißt es darin lapidar. Siegfried brachte diese Mitteilung in Rage. „Ich bin krank, bekomme aber keinen Platz in der Intensivstation, den ich so dringend benötigen würde. Das ist eine Sauerei“, empört er sich. Er fragt sich: „Wie lange muss ich warten? Wie lange dauert die vierte Welle?“
Zum Nichtstun verdammt
Am meisten macht Siegfried zu schaffen, dass er zum Nichtstun verdammt ist. „Die Ärzte haben mir alles verboten, was mich anstrengt, das Autofahren, das Gärtnern im Schrebergarten, das Wandern.“ Es kränkt ihn, dass er die Zeit bis zur OP mit Herumhocken und Herumliegen überbrücken muss. „Mir ist fad. Ich bin sonst ein lebhafter Typ.“
Aber der erzwungene Müßiggang hat auch eine gute Seite. Die Ideen und Projekte, die der Pensionist im Kopf hat, können jetzt ausreifen und finalisiert werden. Auf sein Betreiben hin wurden in den vergangenen Monaten 100 Vogel-Nistkästen angefertigt. „Die werden demnächst in Lustenau verteilt.“ Auch sein Lieblingsprojekt treibt Siegfried von zuhause aus an. Er möchte im Zentrum von Lustenau einen Park anlegen und 40 bis 50 Obstbäume pflanzen lassen. „Mich braucht die Welt noch“, findet Siegfried, der in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts im ganzen Land Straßenalleen anlegen und insgesamt 3500 Sommerlinden pflanzen ließ. Ihn hat immer die Liebe zur Natur angetrieben. Am glücklichsten ist Siegfried, wenn er im Ried Vögel beobachten kann.
Im Vorjahr starb der Sohn
Die Natur nahm ihm die Angst vor dem Tod. „Sie hat mir gezeigt, dass das Leben nie aufhört und ewig ist. Ein Baum zum Beispiel lässt die Samen fallen. Daraus entsteht wieder neues Leben.“ Der Tod kann aber ruhig noch warten, findet Siegfried, der mindestens 95 Jahre alt werden möchte. Er hofft, dass er den ersten Urenkel, der im November zur Welt kommt, noch aufwachsen sehen kann. Das wäre das Größte für ihn. Außerdem will er noch lange ein guter Ehemann sein und seine Frau nicht allein zurücklassen. „Es wäre schrecklich, wenn ich allein wäre“, wirft Rita ein. Sie kann sich ein Leben ohne ihren „Sigi“ gar nicht mehr vorstellen. Gemeinsam sind sie stark, gemeinsam haben sie schon vieles bewältigt, zuletzt den Tod ihres Sohnes Walter, der im Vorjahr an einem Hirnschlag starb.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.