Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Quarz

Vorarlberg / 29.09.2021 • 11:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Erzählte mir ein Mann:
Als meine Frau im Sterben lag, sagte sie mit letzter Stimme: „Versprichst du mir, dass ich in unserem Garten begraben werde. Versprichst du mir, dass du für mich einen Stein findest und für dich den gleichen, so dass wir dann beieinander liegen?“
Ich dachte lange nach, welcher Stein zu ihr passt. Was zu ihr passte, passte auch für mich. Sie war ihr Leben lang mit einem vornehmen Wesen ausgestattet, nie war sie gewöhnlich gewesen. Da kam ich auf den weißen Quarz, der so fein durchädert ist. Ich kannte auf einem hohen Berg eine Stelle, wo Quarz zu finden war. Er hatte sich vor Jahren gelöst und war in den tiefen Schnee gefallen. Dort lagen große Brocken. Wäre er auf den Felsen gestürzt, er wäre zersplittert. Aber so konnte ich im schimmrigen Schnee zwei Stücke finden, einen mit achtundzwanzig Kilo und einen mit dreißig Kilo. Ich habe ihn gewogen, als er geborgen war. Wie, hatte ich damals gedacht, bekomme ich die schweren Steine in unseren Garten. Ich habe einen besten Freund, dem erzählte ich davon. Er sinnte lange nach, sagte von 2.500 Metern ins Tal, das ist eine saftige Aufgabe, aber wir werden das schaffen. Und so zogen wir zwei Tragen hinauf, schnallten die Steine darauf, den schwereren für mich, den fast so schweren für meinen Freund. Es war eine Qual, mit diesem Gewicht von so großer Höhe ins Tal zu balancieren. Oft fielen wir um und lachten. Wir richteten uns viele Male auf, jedes Mal mit größerer Mühe. Wir lachten, die Bäuche taten uns weh, vom Rücken ganz zu schweigen. Ich dachte, wenn ich unten bin, habe ich alle meine Sünden abgebüßt, mein Freund sprach es aus. Also dann im Tal, sagte er zu mir: „Wir beiden haben jetzt eine reine Seele und können wieder aufs Neue sündigen.“

„Es war eine Qual, mit diesem Gewicht von so großer Höhe ins Tal zu balancieren.“

Als ich zu meiner Frau kam, lag sie schon tot, ihr Gesicht im Frieden, so war sie da, wie ich sie als junge Frau im Herzen getragen hatte.
Ich suchte die richtige Stelle im Garten, sie war zwischen zwei Kirschbäumen. Kirschen liebten wir beide. Ich hatte ihr die allerersten gepflückt und sie, wie es sonst bei Kindern der Brauch ist, an ihre Ohren gehängt. Sie baumelten, und dann aß ich sie herunter.
Ich setzte die Steine nebeneinander, grub eine Grube und versenkte ihre Asche darin. Ich hatte zuvor einige Formalitäten zu erledigen. In der Schweiz wurde mir die Bewilligung erteilt. „Bald“, sagte ich zu ihr in die Asche, „lege ich mich neben dich. Ich nehme den schwereren Stein, der leichtere ist für dich. Zuvor aber will ich noch einige Gipfel besiegen, wenn du mir gestattest.“
Erzählte mir ein Mann.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.