Noch kein “Freiheitstag” in Sicht
Mehrere Länder heben Maßnahmen auf. Laut Experte Fidler wäre das in Österreich nicht sinnvoll.
SCHWARZACH Schweden hat seinen „Freedom Day“, den „Freiheitstag“, begangen. In dem Land galten vergleichsweise lockere Corona-Beschränkungen. Nun sind fast alle aufgehoben worden. Dänemark und Norwegen sind vorangeschritten, Großbritannien bereits im Sommer. In Österreich ist vom Ende aller Beschränkungen noch keine Rede. Zurecht, meint Armin Fidler, Gesundheitsexperte und Mitglied der Corona-Kommission. „Das ist nicht denkbar und nicht sinnvoll, da wir nicht über 80 Prozent Impfabdeckung haben.“
Die schwedische Regierung begründet das Maßnahmen-Ende mit der erfolgreichen Impfkampagne. Dort sind nach Zahlen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) vom Donnerstag aber nur 63,2 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. In Norwegen und Dänemark ist dieser Wert höher; in Dänemark liegt er sogar bereits bei 76 Prozent. In Österreich sind nach dieser Darstellung 60,7 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. So viel schlechter als Schweden steht es also nicht da.
Gesundheitsexperte Fidler gibt zu bedenken, dass die eher lockere schwedische Corona-Vorgangsweise für Österreich niemals Vorbild gewesen sei. Von der Idee des sogenannten Freedom Days hält der Mediziner wenig. Dieser geht auf den britischen Premier Boris Johnson zurück, der den Freiheitstag wegen der Corona-Situation in England bereits einmal verschieben musste, wie Fidler kritisiert. Ihm zufolge müsste ohnehin zuerst die ältere und vulnerable Bevölkerung eine dritte Impfdosis erhalten haben, bevor über das Ende aller Maßnahmen in Österreich gesprochen werden könnte. „Abgesehen davon: Wir sollten so viel Freiheit haben, wie für das System vertretbar ist. Im Auto tragen wir ja auch einen Sicherheitsgurt und fühlen uns dadurch nicht unfrei.“
Drosten warnt
Auch in Deutschland mit einer ähnlichen Impfquote wie Schweden und einem etwas höheren Wert als in Österreich – laut ECDC sind dort 64 Prozent vollständig geimpft – bezeichnete der Virologe Christian Drosten den Impffortschritt zuletzt als unzureichend. „Die Zahlen sehen übel aus“, sagte der Wissenschaftler von der Berliner Charité im Podcast „Coronavirus-Update“ von NDR Info. Dänemark sei in einer weitaus besseren Position.
Die derzeitige Beruhigung der Infektionszahlen in Deutschland hält Drosten für ein vorübergehendes Phänomen. So nehme die Inzidenz in einigen ostdeutschen Bundesländern unabhängig vom Ferienende wieder Fahrt auf; es deute sich eine Herbst- und Winterwelle an. In Deutschland betrug die Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) am Donnerstag 63. Nach dem Dashboard der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hat sie sich in Österreich bei 139,7 Prozent eingependelt, in Vorarlberg bei 93,4.
Fidler spricht von einer Plateauphase. Ein Systemrisiko gebe es zumindest in Vorarlberg nicht; die Spitalszahlen blieben niedrig. Dass in Österreich eine Herbst- und Winterwelle drohen könnten, hält der Mediziner aber mit Blick auf die Impfquote durchaus für möglich. „An die 60 Prozent sind doppelt geimpft, vielleicht zehn bis 15 Prozent genesen. Ein Viertel bleibt also vulnerabel.“
Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, plädiert der Mediziner für eine Seroprävalenzstudie – dabei solle ein repräsentativer Teil der ungeimpften Bevölkerung auf Antikörper getestet werden. „Wichtig wäre zu erfahren, wie viele der Ungeimpften ungeschützt sind. Einige haben die Infektion schon durchgemacht, ohne es zu wissen.“ VN-RAM
„Im Auto tragen wir ja auch einen Sicherheitsgurt und fühlen uns dadurch nicht unfrei.“