“Kinder brauchen Kinder”, sagt Schulpsychologin Brigitta Amann

Die Expertin will den häuslichen Unterricht aber dennoch nicht verdammen. Es könne klappen, wenn . . .
Bregenz “Die Eltern treffen beim häuslichen Unterricht eine weitreichende Entscheidung”, sagt Brigitta Amann unter anderem im VN-Interview. Sie möchte Eltern deswegen jedoch nicht verurteilen, “weil es ihnen rechtlich zusteht”. Voraussetzungen für das Gelingen des Unterrichts zu Hause müssten jedoch gegeben sein.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an das Projekt “häuslicher Unterricht” denken?
Dies ist die Entscheidung der Eltern für ein Jahr. Sie muss respektiert werden. Die Eltern treffen hier eine weitreichende Entscheidung, die ihnen rechtlich zusteht.
Wann ist häuslicher Unterricht aus psychologischer Sicht vertretbar, wann nicht?
Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Dazu müssen einige Fragen positiv beantwortet werden können: Sind die Eltern am Unterrichten interessiert? Können sie ein positives Lernklima schaffen und halten, auch wenn’s mal schwierig wird? Bringen sie im Sinne von konsequentem Unterrichten Tag für Tag die Ausdauer auf? Ganz wichtig ist das Aufrechterhalten der sozialen Kontakte des Kindes. Der Umgang mit Gleichaltrigen und Freunden muss stattfinden. Kurzum: Das pädagogische Gespür der Eltern muss hoch sein.
Bedenklich wird es, wenn eine Schulangst besteht und über den häuslichen Unterricht die Auseinandersetzung mit der Angst umgangen wird. Vom häuslichen Unterricht abraten würde ich auch, wenn die Kinder und Jugendliche bereits Lerndefizite oder große Rückstände haben.
“Das pädagogische Gespür der Eltern, die ihre Kinder im häuslichen Unterricht haben, muss hoch sein.“
Brigitta Amann, Schulpsychologie Vorarlberg
Wurden Sie von Eltern, die sich für den häuslichen Unterricht für ihre Kinder entschieden haben, auch schon um Rat gefragt?
Sehr selten. Eltern vollziehen diesen Schritt meist mit großer Entschlossenheit. Wer Bedenken hat, entscheidet sich nicht dafür.
Wenn Sie könnten: Würden sie den häuslichen Unterricht verbieten?
Nein. Häuslichen Unterricht gibt es schon sehr lange, auch mit guten Erfahrungen. Den Rahmen dafür müsste man allerdings genauer festlegen. Wie zum Beispiel eine verbindliche, engere Anbindung an eine Schule verlangen.
Was spricht für das Lernen von Kindern in der Schulgemeinschaft?
Kinder lernen von und mit anderen Kindern. Sie lernen soziales Verhalten in einer Gruppe. Sie lernen sich einzubringen, was auszuhandeln, auch mal zu warten, Dinge in einer Gruppe gemeinsam zu tun und zu einer Gruppe dazuzugehören. Das sind wichtige Erfahrungen, die Kindern gut tun, die sie brauchen. Der Umgang mit einer anderen Lebenswelt außerhalb des Zuhauses und der eigenen Familie ist sehr wertvoll.
Welche negativen Folgen kann die Absenz von Kindern von der Schule haben?
Den Kindern könnte der Anschluss an die Kinder ihrer Altersgruppe verloren gehen und dadurch auch eine Möglichkeit, leicht Freundschaften schließen und pflegen zu können. Kinder brauchen Kinder für eine gesunde Entwicklung ebenso wie Jugendliche ihren Freundeskreis.
Können Sie Eltern verstehen, die sagen, dass die Coronamaßnahmen an den Schulen die Kinder belasten?
Sorgen, Bedenken und Ängste sind bei jedem unterschiedlich. Jeder entscheidet aus seiner persönlichen Situation heraus. Aus der subjektiven Sicht der Eltern sind ihre Sorgen verstehbar, obwohl ich persönlich diese Bedenken nicht habe.
Wie können Eltern den Kindern mögliche Ängste vor dem Testen und anderen Corona-Begleiterscheinungen nehmen?
Indem sie selbst keine Angst haben. Und wenn sie Angst haben, den Kindern ihre persönliche Bewältigung dieser nahe bringen, sodass Kinder eine Hilfestellung für den inneren Umgang mit ihren Ängsten erhalten.
Wie sehr waren Sie in den letzten Monaten mit coronabedingten Problemen von Schülern und deren Eltern beschäftigt?
Coronabedingte Belastungen haben sich auf die üblicherweise gestellten Belastungen meistens darüber gelegt, weil Corona einfach seit gut eineinhalb Jahren Thema ist. Die Umstände durch Corona und die Auswirkungen wirken oft wie ein Brennglas auf vorhandene psychische Belastungen und Probleme.
Welche Erkenntnisse nimmt man als Schulpsychologin aus der Coronakrise mit?
Schule ist in der Regel ein guter und unendlich wichtiger Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche. Und es ist richtig und absolut wichtig, alles dafür zu tun, damit die Schulen offen bleiben und die Schüler verlässlich und sicher zur Schule gehen können.
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