Vorarlberger Afghanen sitzen noch immer fest

Anwalt versucht, die Ausreise und Einreise zu ermöglichen. Auch viele Angehörige bangen.
Schwarzach Herr Faruk wohnt seit 14 Jahren in Vorarlberg. Er hat einen normalen Aufenthaltstitel und arbeitet bei einer Baufirma als Maler. Jetzt sitzt er in Afghanistan fest und will vor allem eines: nach Hause. Er ist nicht der einzige Afghane aus Vorarlberg, der darauf drängt, ausreisen zu können. Wie andere befindet er sich auf der Evakuierungsliste des Außenministeriums. Allerdings sind es vor allem Angehörige, die um ihre Frauen und Töchter in Afghanistan bangen.
Weiter warten
Herr Faruk heißt nicht Herr Faruk. Er möchte weder seinen Namen noch sein Gesicht in der Zeitung sehen. Zu brenzlig ist die Situation in Afghanistan derzeit, erklärt sein Anwalt Stefan Harg. Der Maler reiste noch vor der Machtübernahme der Taliban nach Afghanistan, um seine Frau zu retten. „Die Gefahr war akut, dass sie mit einem Taliban verheiratet wird.“ Schon länger versuchte Herr Faruk, sie auf legalem Wege nach Vorarlberg zu holen. Laut österreichischer Rechtslage benötigt sie ein Deutschzertifikat. „In ganz Afghanistan gab es aber keine Möglichkeit mehr dazu.“ Sie hätte für mehrere Wochen nach Pakistan reisen müssen. Als die Gefahr größer wurde, reiste Herr Faruk nach Afghanistan. Dort steckt er nun fest. „Das Paar steht auf der Evakuierungsliste des Bundes. Damit konnten sie allerdings nicht nach Pakistan reisen, was sie aber erst an der Grenze erfahren haben. Nun sind sie zurück, um weitere Unterlagen von der Botschaft in Kabul zu bekommen“, fährt Harg fort. In seiner Verzweiflung sind die Faruks sogar zum Flughafen. „Das war, als er Anschlag passierte. Er wurde am Auge verletzt“, erzählt Harg.
“Haben alles versucht”
Mitte August haben die Taliban die Macht übernommen. Anwalt Harg vertritt drei Afghanen mit Aufenthaltsbewilligung in Österreich. Einer hat es rausgeschafft. Zwei nicht. Mittlerweile ist Ende Oktober. „Wir haben alles versucht. Wir haben das Außenministerium angesprochen, die Botschaft angeschrieben, den Bundespräsidenten informiert.“ Bisher ohne Erfolg. Nun habe man sogar Menschen von der Ausreiseliste gestrichen. „Ein paar haben es rausgeschafft, nun hat man die Zusage, ihnen zu helfen, zurückgenommen.“
“Schöpfen alle Möglichkeiten aus”
Aus dem Außenministerium heißt es dazu auf VN-Anfrage: „Wir stehen über unser Krisenteam in Wien und über unsere Botschaften in der Region weiter mit allen ausreisewilligen Betroffenen in direktem Kontakt.“ Es befänden sich nur noch eine Handvoll ausreisewilliger afghanischer Staatsbürger mit aufrechtem Aufenthaltstitel in Afghanistan. Man arbeite unermüdlich daran, die Menschen rauszuholen. „Wir schöpfen alle aktuellen Möglichkeiten aus.“
346 Menschen evakuiert
346 Menschen wurden bereits aus Afghanistan evakuiert, erklärt eine Ministeriumssprecherin. Darunter 94 Österreicher und 250 Afghanen mit Aufenthaltstitel. Die Menschen müssen in der Regel über Pakistan ausreisen, was durch die Grenzsituation schwieriger ist.
Bangen um Verwandte
Viele Afghanen in Vorarlberg bangen auch um ihre Verwandten, die sie eigentlich nach Vorarlberg holen wollten. Die Frau eines Mannes, der in Vorarlberg lebt, hätte es fast geschafft, erzählt Eva Fahlbusch vom Vorarlberger Verein Vindex. „Sie hatte schon ein Visum, ein Flugticket und ein Deutschzertifikat. Am 25. August wäre ihr Termin bei der österreichischen Botschaft gewesen. Sie sei leider nicht mehr rechtzeitig rausgekommen. Mittlerweile hat sie einen neuen Termin in der österreichischen Botschaft in Pakistan bekommen: im Jänner 2022. „Keiner weiß jedoch, ob sie es dann über die Grenze schafft.“ Nichtösterreichischen Staatsbürgern und Personen mit festem Aufenthalt in Afghanistan kommen nicht über die Grenze, außer sie haben viel Geld dabei, berichtet Fahlbusch. Allein ihre kleine Organisation betreue fünf Fälle von Menschen mit Aufenthalt in Vorarlberg, die ihre nahen Verwandten retten möchten. Eigentlich ist das im Zuge der Familienzusammenführung möglich. „Ein Mann hat mir erzählt, dass seine Frau mit ihren Kindern noch festsitzt. Sie hat ihren Botschaftstermin in Pakistan im März erhalten.“
Untergetaucht
Auch weiter entfernte Angehörige bangen. „Es gibt Personen, die für Behörden arbeiteten und sich verstecken. Ein Mann hat mir von seinem Cousin erzählt, einem Kriminalbeamten. Er ist untergetaucht, weil er dem Tode geweiht ist. Wir wissen von einem Mediziner von Ärzte ohne Grenzen, der im Untergrund lebt. Den Angehörigen geht es sehr schlecht.“
Fälle hier prüfen?
Fahlbusch fordert, dass Anträge auf Familiennachzug in Österreich bearbeitet werden. Das sei bisher nämlich auch der Fall, allerdings darf eine Einreise erst erfolgen, wenn die Bezirkshauptmannschaft grünes Licht gibt. „Warum kann man in der Gefahrensituation, in der sich vor allem Frauen und Mädchen befinden, die Visa-Anträge nicht hier prüfen?“, fragt Fahlbusch.
Baumarktmitarbeiter
Manche befinden sich trotz Aufenthalttitel nicht in Österreich. Dazu zählt ein Mann, der seit 15 Jahren in Vorarlberg lebt und in einem Baumarkt arbeitet. Er ist bei seiner Frau in Kabul, um sie rauszuholen. Sie stellte am 2. August in Pakistan einen Antrag. Nach ihrer Rückkehr nach Kabul haben sich die Ereignisse überschlagen, erzählt Anwalt Stefan Harg. „Auch sie befinden sich auf der Evakuierungsliste.“ Sie hoffen, dass sie das Land der Taliban bald in Richtung ihrer neuen Heimat verlassen dürfen.
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