Wie ein altes Abkommen auch heute noch hilft

Vorarlberg / 19.12.2021 • 19:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Wie ein altes Abkommen auch heute noch hilft
Das Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerde statt. Die Notstandshilfe wurde rechtswidrig gestrichen. Dimitrios Gavrilidis fällt unter das Assoziationsabkommen. VN/EBI

Vorarlberger erhält Notstandshilfe, weil er unter das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei fällt.

Schwarzach Dimitrios Gavrilidis hat Glück, einen Freund zu haben, der für ihn kämpft. Hätte er diesen Freund nicht, würde Gavrilidis ohne Hilfe dastehen. Die steht ihm aber zu, wie das Bundesverwaltungsgericht nun feststellt. Es ist ein Fall von vielen, der zeigt, wie wichtig es ist, für seine Rechte zu kämpfen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Östererreich beschäftigt sich mittlerweile großteils mit Asylfällen. 8200 von insgesamt 14.800 Verfahren gingen im Vorjahr zum Bereich Fremdenwesen und Asyl ein. Auf Platz zwei liegt das Themengebiet Soziales mit 3000 Beschwerden. Darunter finden sich Fälle wie jener von Dimitrios Gavrilidis. Der gelernte Kfz-Spengler ist türkischer Staatsbürger, allerdings vor allem Vorarlberger. Er kam vor 42 Jahren in Vorarlberg zur Welt, absolvierte ab 1995 eine Lehre und arbeitete zunächst. Als sein Vater stirbt, erleidet Gavrilidis eine Depression. Er lebt bei seiner Mutter auf der Couch, meldet sich allerdings nicht bei den Behörden. Erst 2016 tut er das. Er gibt in seinem Zustand an, auf Weltreise gewesen zu sein. Das sollte fünf Jahre später zum Problem werden.

Um arbeiten zu können, verfügt Gavrilidis über eine Rot-Weiß-Rot-Karte. Am 28. November läuft sie ab, er stellt keinen Antrag auf Verlängerung. Zumindest argumentiert so die Bezirkshauptmannschaft Bludenz, als ein Antrag auf Notstandshilfe am 6. Mai 2021 vom AMS abgelehnt wird. Die BH verwies allerdings auf das sogenannte Assoziationsabkommen der EU mit der Türkei. Das heißt, dass ein fehlender Aufenthaltstitel nicht zwangsläufig unrechtmäßiger Aufenthalt bedeutet, schreibt die BH. Da kommt der Gavrilidis‘ Freund ins Spiel. Er setzt sich seit Längerem für das Recht von türkischen Staatsbürgern ein, die unter das Assoziationsabkommen fallen. Mit seiner Hilfe legt Gavrilidis Beschwerde ein, zunächst allerdings ohne Erfolg. Nun argumentiert das AMS: Einerseits falle er gar nicht in das Assoziationsabkommen, da sein Vater vor dem EU-Beitritt Österreichs arbeitslos wurde. Vor allem sei er zwischen 2011 und 2016 nicht in Österreich gewesen, weshalb das Aufenthaltsrecht erloschen sei.

Erneut legt Dimitrios Gavrilidis Beschwerde ein. Er gibt darin an, dass er gelogen habe. Er sei eben nicht auf Weltreise gewesen. Er hätte ja zu dieser Zeit nicht einmal einen Reisepass gehabt. Seine Schwester und seine Mutter begleiten ihn zur Verhandlung in Wien. Wenig später folgte die Entscheidung: Das Bundesverwaltungsgericht glaubt ihm. Es stellt zunächst fest, dass sein Vater ab 1993 in Pension war. Außerdem haben der Verwaltungsgerichtshof und der Europäische Gerichtshoft bereits festgestellt, dass es ausreicht, dass ein Elternteil drei Jahre beschäftigt war. Das war Gavrilidis schon aufgrund seiner Lehre auch.

Die wichtigste Zeile im Urteil lautet aber: „Im mündlichen Verfahren gelang es dem Beschwerdeführer glaubhaft darzulegen, dass er während des gesamten Zeitraums 2011 bis 2016 Österreich nicht verlassen hat.“ Er fällt also unter das Assoziationsabkommen. Die Notstandshilfe ist zu gewähren.

Dimitrios Gavrilidis Freude ist trotz des Erfolgs verhalten. „Ich bin hier auf die Welt gekommen. Es sollte eigentlich normal sein.“ Er ärgert sich darüber, dass viele in Österreich nicht wissen, dass sie unter das Abkommen fallen. Zum Beispiel rund 18.000 Studenten, die gar kein Visum bräuchten, rechnet er vor. Fix ist: Er braucht jedenfalls keines.

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