Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Kickl geht zu weit

Vorarlberg / 22.01.2022 • 08:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Als Nationalratsabgeordneter hat Herbert Kickl (FPÖ) „stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze“ gelobt. Muslime lässt er gerne wissen, dass in Österreich „unsere Gesetze“ gelten. Beides meint er nur so, wie es ihm gefällt. Auf sein Wort ist kein Verlass. Diese Woche hat er glatten Gesetzesbruch angekündigt. Er werde auch nach dem 1. Februar, also dem Tag, an dem die Impfpflicht in Kraft tritt, ungeimpft bleiben, sagte er. Im Lichte der Gelöbnisformel dürfte er bald zurücktreten müssen. Tun wird er’s nicht.

Mit seinen Kampfbegriffen ermuntert er sie frei nach Trump zu einem Aufstand, in dem es keine Grenze gibt.

Zunächst Grundsätzliches: Man kann die Impfpflicht ablehnen. Man kann Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und all ihren Vorgängern unendlich viele Versäumnisse, Fehler und Wortbrüche anlasten. Ja, es ist es sogar notwendig, das zu tun, damit klar wird, wie sehr sie ihrer Verantwortung nachkommen oder eben nicht. Man muss auch rechtliche Probleme beleuchten, die mit der Impfpflicht einhergehen. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit. Man darf sogar zum Schluss kommen, dass er unter den gegebenen Umständen überzogen sei. Im Übrigen ist es erlaubt, all das zugespitzt zum Ausdruck zu bringen.

Wenn jedoch ein Nationalratsabgeordneter wie Kickl davon spricht, dass Österreich mit der Impfplicht „eiskalt in eine Diktatur“ geführt werde, wie er es in einer Aussendung am 19. November getan hat; oder dass „Totalitarismus“ der Weg bereitet werde, wie er am Donnerstag behauptet hat, dann geht das zu weit.

Die Impfpflicht wird nicht federstrichartig eingeführt. Es handelt es sich um ein Gesetz, das mit klarer Mehrheit bereits den Nationalrat passiert hat. Dort sitzen gewählte Volksvertreter. Das Ergebnis einer hochwertigen Umfrage lässt den Schluss zu, dass sie dem Wunsch sehr vieler Bürgerinnen und Bürger entsprochen haben. Laut einer Erhebung der Uni Wien vom Spätherbst sind 52 Prozent für die Impfpflicht und 35 Prozent dagegen (der Rest ist unschlüssig oder macht keine Angaben).

Doch zurück zum Procedere, das Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerecht wird: Nach dem Nationalrat ist der Bundesrat am Zug. Und dann wird der Bundespräsident ein verfassungskonformes Zustandekommen des Gesetzes bestätigten, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Noch besser: Wer Unrecht empfindet, kann schließlich das Höchstgericht anrufen. Dort wird erfahrungsgemäß kompromisslos in der Sache und unabhängig von den Vorstellungen der jeweiligen Regierung entschieden. 

Es gibt also keinen Grund, von Diktatur oder Totalitarismus zu sprechen. Parteipolitisch ist es zwar nachvollziehbar, dass Kickl die unsäglichen Vergleiche anstellt: Er will die Gegner vereinnahmen, der MFG-Liste keinen Platz lassen. Das Problem ist jedoch, dass er sie mit diesen Kampfbegriffen frei nach Donald Trump zu einem Aufstand ermuntert, in dem es keine Grenze gibt.

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.