Gipslöcher und Mehlsack
Der Verfassungsgerichtshof hat eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen: Die Reduktion des Naturschutzgebietes „Gipslöcher“ in Oberlech durch die Landesregierung um gerade mal 900 m² wurde nach einer Anfechtung durch den Landesvolksanwalt als nicht hinreichend begründet aufgehoben. Der VfGH fand in den Verordnungsakten der Landesregierung keine Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen am Bau einer neuen Bahn, die das Naturschutzgebiet tangieren würde, und den Interessen am (vollständigen) Erhalt dieses besonderen Landschaftsteils.
„Ein schönes Beispiel dafür, dass Widerstand die Fantasie von Projektbetreibern auch im Interesse der Umwelt befruchten kann.“
Die Änderung der Verordnung hatte den Sinn, das Verfahren für den Bau der Bahn zu erleichtern: Wäre das Naturschutzgebiet unverändert bestehen geblieben, hätte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz in einer umfangreichen Interessenabwägung die Zulässigkeit des Vorhabens begründen müssen. Wenn die Bahn aber außerhalb des Schutzbereiches gebaut wird, kann diese Begründung entfallen. Der VfGH hat freilich nur bestätigt, was man schon längst wusste, aber eben nicht immer praktizierte: Auch Verordnungen (einschließlich ihrer Änderungen) sind hinreichend zu begründen, man kann also nicht einfach auf das vermeintlich leichtere Verfahren umsteigen.
Das Beispiel zeigt auch, wie wichtig die Institution Landesvolksanwalt ist, denn nur er ist in solchen Fällen berechtigt, die Angelegenheit vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen. Dass er sich auch für die Umwelt einsetzt (der Fall wurde vom Vorgänger des jetzigen Landesvolksanwaltes eingeleitet), ist eine wichtige Komponente seiner Funktion.
Die Projektbetreiber haben angedeutet, sich eine andere Trassenführung der Bahn zu überlegen. Ein schönes Beispiel dafür, dass Widerstand die Fantasie von Projektbetreibern auch im Interesse der Umwelt befruchten kann.
Keine Anfechtungsmöglichkeit, weder seitens des Landesvolksanwaltes noch durch eine Umweltschutzorganisation, gibt es derzeit hingegen bei der umstrittenen Verlängerung des Heliskiings auf den beliebten Schiberg Mehlsack in Lech. Das ist schade. Selbstverständlich wäre im Interesse des Naturschutzes zu fordern, dass auch solche Entscheidungen angefochten werden können. Wer weiß, vielleicht würde auch hier ein bisschen Widerstand Wunder wirken. Allerdings entwickelt sich derzeit (auch international) die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte extrem dynamisch. Möglicherweise wird schon in kurzer Zeit diese aus der Zeit gefallene Freizeitaktivität in Vorarlberg ebenso wie in Tirol, wo Heliskiing schon längst verboten ist, der Vergangenheit angehören.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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