Falsch abgebogen
Es ist eine politische Bombe, die da am Freitagabend durch die Veröffentlichung der bislang streng geheimen Koalitions-Sideletter durch „Profil“ und ORF geplatzt ist.
Nachdem sich die ganze Republik diese Woche auf Kosten des Steuerzahlers Eichhörnchen- und Eitle-Pfau-Witze erzählt hat, bleibt einem nun endgültig das Lachen im Giraffenhals stecken. Denn der groß plakatierte “Neue Stil” der türkisen ÖVP war und ist von uraltem Machtdenken geprägt. Postenschacher par excellence.
Zugelangt ohne Genierer. Die höchsten Ämter im Verfassungsgericht, der Nationalbank, den Staatsbetrieben und im ORF wurden derart unappetitlich verteilt, dass die Vereinbarung nie öffentlich werden sollte. Die unterzeichnenden Parteien – allen voran Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und zwei Jahre später auch Werner Kogler – sichern sich wechselseitig das Zuschanzen von Ämtern in Justiz, ORF und Aufsichtsräten zu. So als hätte die türkise Familie die Republik geerbt. Im ÖVP-Umfragen-Sprech: als hätte man einen Bären erlegt und sichert sich nun die Fellverteilung.
Paktiert wurde in dem 2017er-Geheimpapier mit der FPÖ auch die Abschaffung der ORF-Gebühren, darüber hinaus – auch mit Nennung von Kürzeln – welche Personen konkret als Chefredakteur oder in anderen Machtpositionen der Anstalt verankert werden sollten. Auch in die Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte das Regierungspapier ausstrahlen: Mehr „Österreich-Kompetenz“ und ein „besonderer Bezug zu Österreich“ solle in allen ORF-Programmen „spürbar“ sein, regionale Inhalte sollten „gestärkt“ werden.
2019 wurde erneut ein Geheimpapier angefertigt, dieses Mal mit den Grünen. Es ist weniger umfangreich und regelt auf zwei Seiten die Nominierungen für Ämter in EU-Gremien, Aufsichtsräten, erneut dem ORF-Stiftungsrat und andern Machtzirkeln bis ins Jahr 2024.
Ein jeder aus dem koalitionären Politbetrieb wird nun ausrücken, um zu betonen, wie supersauber so eine Vereinbarung doch sei. Total üblich. Hätte es immer schon gegeben und natürlich habe auch die Sozialdemokratie gesidelettert. Natürlich, glaub’ ich gern. Das macht es nicht im Ansatz besser.
Die ÖVP versprach mit Sebastian Kurz nicht weniger als einen neuen Stil, ist jedoch mit seiner Turbo-Politik falsch abgebogen. Bundeskanzler Karl Nehammer müsste einen glasklaren Schnitt unter das System des Fälschens, des Vorspielens, des Beeinflussens machen. Doch die Republik rumpelt weiter auf den vom System Kurz aufgegleisten Grundsätzen.
Die Grünen spielen heiter mit. Neuwahlen braucht keiner, wiederholen beide Parteien gebetsmühlenartig. Weil sie wissen, dass ihr Marktwert beim Wahlvolk zwischenzeitlich weit unter dem Ausgabekurs der Polit-Aktien ist. Sie würden bei Neuwahlen ordentlich zurückgestutzt werden.
Die Schmerzen der nach Orientierung suchenden ÖVP sind bekannt. Neu ist, dass auch die Grünen mit der geheimen Postenschacher-Nebenabsprache ihren Anspruch als Transparenzpartei bereits an der Garderobe der Koalitionsverhandlungen abgegeben haben.
Die Grünen haben offenbar in ihre Vereinbarung den Schlusssatz reklamiert, dass alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen sollten.
Tatsache ist, dass in Österreich weiterhin gilt: Nicht die oder der Beste gewinnt, Hauptsache die Parteifarbe stimmt! Bäh.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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