Die Leiden einer MS-kranken Zwillingsmutter

Simone ist erst 45, hat aber schon geballtes Leid erfahren.
Schwarzach In stillen Momenten fragt sich Simone (Name geändert), warum ihr so viel Leid zuteil wurde. „Warum ließ Gott das zu? Warum musste ich das alles durchleben?“ Die 45-Jährige ist eine hübsche Frau. Das Leben hat ihr feine Linien ins Gesicht gezeichnet und ihren schönen Augen Tiefe verliehen. Die erlittene Pein spiegelt sich in ihnen wider. Als sie jung war, wusste Simone noch nicht viel vom Leben. Heute, mit 45, weiß sie, dass das Leben eine einzige Herausforderung ist. Kaum hat man eine Schwierigkeit bewältigt, kommt die nächste.
Das Leben hielt sich nicht immer an ihre Pläne. Eigentlich wollte die gebürtige Deutsche in die Fußstapfen ihres Vaters treten und Gärtnerin werden. „Aber Papa meinte: ,Lerne einen Beruf, in dem man nicht so schuften muss.‘“ Weil sie ihre Eltern nicht enttäuschen wollte, begann sie eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in einer Kinderklinik. „Ich dachte, es wird toll. Aber es war ernüchternd.“ Vieles schockierte sie. „Ich sah Säuglinge, die sexuell missbraucht worden waren.“ Damit konnte Simone nicht umgehen. „Das belastete mich zu sehr. Ich konnte mich nicht abgrenzen.“
Zweifel am Tag der Eheschließung
Nach zwei Jahren brach sie die Ausbildung ab und absolvierte bei ihrem Vater mit Leidenschaft eine Gärtnerlehre. Danach schritt sie zum Traualtar. „Ich dachte, das ist der Mann, der mich versorgen kann.“ Aber bereits am Tag der Eheschließung kamen ihr erste Zweifel: „Heirate nicht. Es ist ein Fehler. Er passt nicht zu dir.“ Doch Simone nahm ihr Bauchgefühl nicht ernst. „Mein Mann war sehr autoritär. Er herrschte zu Hause.“
Ein paar Wochen nach der Hochzeit erhielt sie die schreckliche Diagnose Multiple Sklerose (MS). „Du schwebst im schwarzen Universum und kannst dich nirgends festhalten. Meine liebsten Menschen waren bei mir, aber trotzdem war ich allein“, beschreibt sie, wie sie sich danach fühlte.
Simone wartete mit der Therapie zu, weil sie und ihr Mann sich ein Kind wünschten. Mit 22 Jahren brachte sie einen Sohn zur Welt. Ein paar Monate später begann sie eine Therapie, deren Nebenwirkungen fatal waren. „Ich hatte Schmerzen, litt an Schüttelfrost und konnte nicht mehr schlafen. Es war die Hölle auf Erden.“ Hinzu kam die Angst vor weiteren Schüben. „Ich entwickelte eine Angststörung.“ Panikattacken überkamen sie. „Ich wünschte mir nur mehr den Tod.“
Mit Drillingen schwanger
Ihre Ehe zerbrach, danach fand die kranke Frau zum Glauben. „Als ich in der Glaubensgemeinschaft mein Leben Jesus übergab, war ich plötzlich von Liebe erfüllt. Ich fühlte mich komplett angenommen.“ Zunächst blühte sie in der religiösen Gemeinschaft auf. Aber nach ein paar Monaten merkte sie, „dass etwas falsch lief und ich eine Gefangene bin“. Unter anderem wurde Simone dazu angehalten, ihren Sohn zu schlagen und keine weltlichen Bücher mehr zu lesen. Ihre Angst wurde immer größer. Panikattacken und ein weiterer MS-Schub beeinträchtigten ihr Leben.
Über eine Online-Dating-Plattform lernte die alleinerziehende Mutter einen Vorarlberger kennen. Dieser riet ihr, sich schleunigst von der Sekte abzuwenden. 2008 heiratete sie Günter (Name geändert) und zog zu ihm nach Vorarlberg. Günter hätte gern Kinder gehabt, war aber vermeintlich zeugungsunfähig. Simone hingegen wollte aufgrund ihrer MS-Erkrankung kein weiteres Kind mehr.
Mit Bauchschmerzen kündigte sich das Unerwartete an. „Ich dachte, dass ich wegen meiner Bulimie Bauchweh habe. Dann stellte sich aber heraus, dass ich schwanger bin, schwanger mit Drillingen. Das war für uns ein gehöriger Schock.“ Eines der Kinder starb noch vor der Geburt. „Der Alltag mit den Zwillingen war heftig, weil wir keine Unterstützung hatten. Vier Jahre lang schliefen sie in der Nacht nicht durch.“ Das Ehepaar war überfordert und schlitterte in eine Erschöpfungsdepression. „Mein Mann war ein paar Wochen in der Valduna, ich ein halbes Jahr.“
Der gesundheitliche Zustand der kranken Frau verschlechterte sich zusehends, der Weg in die Invalidenrente war vorgezeichnet. Vor sechs Jahren kam es zu einem dramatischen Einschnitt in ihrem Leben. Simone wollte nicht mehr leben. „Ich hatte mich aufgegeben. Meine Psyche und mein Körper spielten verrückt. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Händen, konnte sie nicht mehr bewegen, kein Messer mehr halten, nicht mehr allein essen oder duschen.“ Die dreifache Mutter unternahm einen Suizidversuch. „Ich hatte Gott aus den Augen verloren und seine Hand losgelassen. Aber er hat mich zurückgeholt. Ohne ihn wäre ich nicht mehr da.“ Simone ist überzeugt, dass sie auf Erden noch eine Aufgabe hat. „Vielleicht musste ich das alles durchleben, um die Menschen besser zu verstehen und sie zu Gott zu bringen.“