Der Leitfaden durch die Causa Wirtschaftsbund

Markt / 01.05.2022 • 08:15 Uhr / 12 Minuten Lesezeit
Der Leitfaden durch die Causa Wirtschaftsbund
Landeshauptmann Markus Wallner (links) muss sich mit der Parteizeitung “Vorarlberger Wirtschaft” und der Arbeitsweise des zurückgetretenen Wirtschaftsbunddirektors Jürgen Kessler (rechts) beschäftigen. VN, WB

Die Entwicklungen rund um den Wirtschaftsbund sind nicht immer einfach nachvollziehbar. Wir bieten einen Überblick.

Feldkirch Wirtschaftskammer, Wirtschaftsbund, Vorarlberger Wirtschaft oder die Wirtschaft – die Namen ähneln sich wie auch die Aufgaben der Protagonisten. Wir bieten eine Übersicht, wer was wann war und wie sich alles entwickelte.

Wer ist wer?

Der Wirtschaftsbund steht zur Wirtschaftskammer wie die Volkspartei zum Land Vorarlberg. Er ist die konservative Partei in den gewählten Gremien der “Kammer der gewerblichen Wirtschaft”. Da der Wirtschaftsbund seit seiner Gründung die dominante Kraft in der Wirtschaftskammer Vorarlberg ist, gehören ihm auch die leitenden Köpfe der Kammer an.

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Jürgen Kessler. VN/STiplovsek

Im Zentrum der Causa Wirtschaftsbund steht Jürgen Kessler, der bis zum März 2022 mehrere Funktionen auf sich vereinte: Der Direktor des Wirtschaftsbunds war außerdem Arbeitgebervertreter in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) in Vorarlberg und auch Miteigentümer der MediaTeam Kommunikationsagentur, die das Inseratengeschäft der Wirtschaftskammerzeitung verwaltete. Als Direktor des Wirtschaftsbunds war er wie schon sein Vorgänger Walter Natter außerdem für dessen Zeitung “Vorarlberger Wirtschaft” verantwortlich.

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Wirtschaftskammerpräsident Hans Peter Metzler.  vn/Stiplovsek

Ebenfalls am 1. April nahm Wirtschaftskammerpräsident Hans Peter Metzler den Hut. Er war auch Wirtschaftsbundobmann. Damit vereinte Metzler zwei voneinander getrennte Führungspositionen in seiner Position. Damit ist nun Schluss: Ihm folgte als Kammerpräsident Wilfried Hopfner (ehemaliger Bankensprecher, Raiffeisenbank) nach, als Bundobmann jedoch Karlheinz Rüdisser (ehemaliger Wirtschaftslandesrat und ebenfalls Wirtschaftsbundmitglied).

Was sind die Vorwürfe

Es gibt zwei voneinander zu trennende Vorwürfe: Die Finanz ermittelt in erster Linie wegen nicht gezahlten Steuern für Überweisungen des Wirtschaftsbundes an die Volkspartei. Wie hoch diese Steuerschuld tatsächlich ist, war lang Inhalt von Debatten.

Mitte November wurde bekannt, dass aus Sicht der Abgabebehörde für den Zeitraum 2016-21 mindestens 770.000 Euro nachzuzahlen sind. Ob auch bezüglich der Zuwendungsabgabe eine Steuerschuld besteht, war zu dem Zeitpunkt noch strittig.

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Dann gibt es noch die politischen Vorwürfe: Der Wirtschaftsbund soll unter Druck Anzeigen von Innungen und Unternehmen erwirkt haben. Nicht nachvollziehbare Geldflüsse und sehr freizügig vergebene interne Kredite erwecken den Eindruck eines Selbstbedienungsladens. Hinzu kommt der Vorwurf, dass die Volkspartei so über Umwege die eigenen Finanzen für Wahlkämpfe aufgebessert hat. Durch Inserate der Wirtschaftskammer und landeseigener Unternehmen sind so Zwangsmitgliedsbeiträge und Steuergelder zu Parteigeldern geworden, wenn die Verdächtigungen sich erhärten.

Der Platz des Landeshauptmannes

Landeshauptmann Markus Wallner ist auch Parteiobmann der Volkspartei. Was er wann wie wusste, ist vor allem eine Frage der politischen Verantwortung.

Die Volkspartei wehrt sich gegen das Bild des allwissenden Parteiobmannes und verweist auf einen Grundpfeiler christlichsozialer Philosophie: der Subsidiarität. Diese gibt der kleinstmöglichen Einheit die größtmögliche Autonomie. Erst wenn diese überfordert wäre, solle die nächstgrößere Organisationseinheit zum Zug kommen. Klassisches Beispiel: Der Staat soll sich nicht um Dinge kümmern, die die Gemeinde vor Ort besser entscheiden kann. Auch Förderalismus lässt sich so begründen.

Landeshauptmann Markus Wallner <span class="copyright">VN/HArtinger</span>
Landeshauptmann Markus Wallner VN/HArtinger

Im Falle der ÖVP heißt das, dass der Parteiobmann wenig Einblick in die fünf Teilorganisationen und die 80 Ortsgruppen der Vorarlberger Volkspartei habe. Er habe daher quasi blind darauf vertrauen müssen, dass der Wirtschaftsbund sauber arbeite.

Hinzu kommt die eidesstattliche Erklärung, laut der sich Wallner wohlwollend gegenüber Unternehmer bezüglich dem Schalten von Werbung in der Wirtschaftsbundzeitung geäußert haben soll. Am 10. Mai nahm sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft der Causa an. Gegen Markus Wallner wird Vorwürfen wegen Vorteilsannahme (§ 305 StGB) nachgegangen, gegen 2 weitere Personen wegen Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306 StGB).

Verwirrende Namensähnlichkeiten

Verwirrend ist für viele, dass Jürgen Kessler in mehreren Funktionen für mehrere Zeitungen verantwortlich ist – und alles sehr ähnliche Namen hat. In der Causa geht es um den Wirtschaftsbund mit Jürgen Kessler als dessen Direktor und Hans Peter Metzler als Obmann. Diese ist Teil der ÖVP. Deren Zeitung ist die “Vorarlberger Wirtschaft”. Hier besteht der Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung (es gilt die Unschuldsvermutung).

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Die Wirtschaftskammer wiederum als Interessensvertreterin der gewerblichen Wirtschaft bringt eigene Zeitungen heraus: die “Thema Vorarlberg” und “die Wirtschaft”. Hier haben die genannten beiden ebenfalls Aufgaben gehabt: Hans Peter Metzler war Präsident der Kammer, Jürgen Kessler war als Miteigentümer des MediaTeams für das Anzeigengeschäft der Kammerzeitung “die Wirtschaft” mitverantwortlich. In diesem Bereich gibt es keine Anzeichen von fragwürdigen Geldflüssen.

Wem gehört MediaTeam

Bis Jänner 2022 hielt Jürgen Kessler 49,9 Prozent an MediaTeam. Er war damit größter Gesellschafter. Russmedia hielt etwa 40 Prozent und Geschäftsführer Markus Steurer 10 Prozent der Firmenanteile. Kessler zog sich schließlich nach politischem Druck aus dem Unternehmen zurück. Seither gehört MediaTeam Russmedia (75,1 Prozent) und Geschäfsführer Markus Steurer (24,9 Prozent).

Was ist wann wie passiert

Die Anfänge

Im November 2021 wähnten die Oppositionsparteien im Landtag Unvereinbarkeiten mit der Zeitung des Wirtschaftsbundes. Der Verdacht war nicht neu: Immer wieder vermutete die Opposition, dass über die Inserate landeseigener Unternehmen in der Wirtschaftsbundzeitung Steuergeld über Umwege in die Kassen der Volkspartei flossen.

Die Selbstanzeige

Mit Jahreswechsel hätte Kessler die Führung der ÖGK Vorarlberg übernehmen sollen, trat das Amt aber mit Verweis auf persönliche Gründe nicht an. Er wolle sich auf die Arbeit als Wirtschaftsbunddirektor konzentrieren.

Ende März der erste Paukenschlag: Anlässlich einer Finanzprüfung hat der Wirtschaftsbund sich selbst angezeigt. Innerparteiliche Zuwendungen des Wirtschaftsbundes an die Volkspartei wurden nicht versteuert. Die Selbstanzeige sei kein Schuldeingeständnis, sondern eine Vorsichtsmaßnahme zur Klärung einer offenen Steuerfrage.

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Schnell schlug die Selbstanzeige hohe Wellen. Während die Finanzprüfer noch die Höhe der möglichen Steuerschuld erheben, nehmen die politischen Vorwürfe weiten Raum ein. Die VN errechneten einen realistischen Anzeigenumsatz von fünf Millionen Euro pro Legislaturperiode, Innungsmitglieder der Wirtschaftskammer sprachen vom Gefühl, Schutzgeld zu zahlen und erpresserischen Methoden. Dem Rechnungshof fehlen die Kompetenzen, Vorfeldorganisationen von Parteien zu prüfen.

Die Eruption

Am ersten April der nächste Paukenschlag: Wirtschaftsbundobmann und Präsident der Wirtschaftskammer Hans Peter Metzler und Wirtschaftsbunddirektor Kessler legen ihre Ämter zurück. Ihnen folgen der frühere Bankensprecher Wilfried Hopfner als Wirtschaftskammerpräsident und der frühere Wirtschaftslandesrat Karlheinz Rüdisser als Wirtschaftsbundobmann nach. Inzwischen gehen die Angaben soweit, dass der Wirtschaftsbund der Volkspartei seit 2014 beinahe eine Million Euro zur Verfügung gestellt haben könnte. Die Steuerschuld allein wird bald auf 1,3 Millionen Euro geschätzt.

Die Opposition fordert einen Sonderlandtag, um den Landesrechnungshof zu stärken, der am 25. April stattfindet. Auch ein U-Ausschuss wird laut angedacht, falls die Volkspartei sich zur Aufklärung unwillens zeigt. Denn Wallner sagt den VN, er habe in den Entwicklungen des Wirtschaftsbundes zu lange zugeschaut. Gleichzeitig hat er im subsiditär organisierten Parteiapparat zu wenig Einblick in die Tätigkeiten der Partei-Teilorganisationen.

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Barauszahlungen, schlecht abgesicherte Darlehen an Kessler und nicht nachvollziehbare Geldflüsse des Wirtschaftsbundes erwecken den Eindruck eines Selbstbedienungsladens von Funktionären, finanziert durch die teilweise unter Druck entstandene Anzeigen und Mitgliedsbeiträgen. Auch gegenüber den Gemeinde-Ortsgruppen war man großzügig. Eine den VN vorliegende Eidesstattliche Erklärung sieht die Mithilfe des Landeshauptmannes bei Anzeigenwerbung, dieser widerspricht vehement. Die Opposition stellt daraufhin den Misstrauensantrag.

Im Landtag wird fünf Stunden über die Rolle des Landeshauptmannes in der Causa Wirtschaftsbund diskutiert. Einen Rücktritt aufgrund anonymer Anschuldigungen lehnt er ab. Aufhorchen lässt auch Wirtschaftslandesrat Marco Tittler. Mit den Verwendungsmitteln des Wirtschaftsbundes wird traditionell auch der Kaffee in seinem Büro gezahlt.

Die Aufarbeitung in Wien und Vorarlberg

Die Steuer- und Inseratenaffäre rund um den Vorarlberger Wirtschaftsbund schlägt sich aber auch im ÖVP-Korruptionsausschuss nieder. Auf Wunsch von SPÖ, Neos und FPÖ sollen mehrere Protagonisten geladen werden. Den Auftakt machen sollten unter anderem der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), Ex-Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler machen. Der Termin wurde auf Anfang Juni angesetzt, es wird jedoch voraussichtlich nicht der einzige Termin bleiben: Kessler ließ sich entschuldigen, er könne aus gesundheitlichen Gründen am ersten Juni nicht vor dem Ausschuss aussagen. Erschienen vor dem U-Ausschuss sind hingegen Landeshauptmann Markus Wallner und Finanzminister Magnus Brunner. Zwar ebenfalls angereist, aber zeitlich nicht mehr drangekommen ist der stellvertretende ÖVP-Wirtschaftsbundobmann Jürgen Rauch. Kessler sorgte für Aufsehen, da er bereits am Wochenende nach der Ausschusssitzung privat ins Ausland reisen konnte. Für den Herbst sind erneut mit “Vorarlbergtage” im U-Ausschuss zu rechnen.

Markus Wallner machte dem U-Ausschuss im Juni seine Aufwartung. <span class="copyright">APA/Fohringer</span>
Markus Wallner machte dem U-Ausschuss im Juni seine Aufwartung. APA/Fohringer

Derweil verkündeten sowohl Wirtschaftskammer wie auch die Landesregierung Anfang Mai, dass künftig Inserate in Parteimedien verboten sein werden. Für landeseigene Unternehmen wurden die Vorgaben entsprechend angepasst. Ein U-Ausschuss auf Landesebene ist derzeit nicht in Aussicht.

Debatten gab es im Herbst um den Wunsch des U-Ausschusses, vom Finanzministerium Akten zu den laufenden Verfahren im Umfeld des Wirtschaftsbundes zu erhalten. Das Finanzministerium sah dafür bis in den November hinein keine Veranlassung.

Ermittlungen

Auf Basis der eidesstattlichen Erklärung eröffnete die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen. Gegen Markus Wallner wird Vorwürfen wegen Vorteilsannahme (§ 305 StGB) nachgegangen, gegen 2 weitere Personen wegen Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306 StGB).

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch hat den Verdacht geäußert, dass gegen Paragraf 305 verstoßen wurde – Amtsträger versuchen Vorteile einzufordern. Wallner dementierte diese Vorwürfe. Im Raum stand zu dieser Zeit die technischen Geräte des Landeshauptmannes. Kurz vor Ermittlungseröffnung und dem Termin vor dem U-Ausschuss wurden Mobiltelefon und Laptop ausgetauscht. Wallner verwehrt sich dem Eindruck, dass dabei eventuell belastende Daten gelöscht worden sein sollen.

Anfang Juni wurde bekannt, dass Walter Natter sich selbst anzeigte. Natter soll zwischen 2014 und 2016 Versicherungsprämien für sich selbst von Wirtschaftsbund-Konten überwiesen und die Zahlungen unter falschen Titeln gebucht haben. Er habe sich der Abgabenhinterziehung schuldig gemacht, soll Natter laut “Standard” eingeräumt haben.