Südamerikanerin kehrte nach 60 Jahren in den Urlaubsort Gaschurn zurück

1962 machte Sharon Maas Skiurlaub in Gaschurn. Heuer besuchte die Schriftstellerin den Ort erstmals wieder.
Gaschurn Sharon Maas (70) ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, die bis dato 13 Romane (hauptsächlich historische) geschrieben hat. In ihren Memoiren, die gerade in englischer Sprache erschienen sind, beschreibt sie unter anderem detailliert ihren zweiwöchigen Urlaubsaufenthalt in Gaschurn im Jahre 1962.
Aber wie verschlägt es ein elfjähriges Mädchen, das in Guyana geboren wurde und dort seine Kindheit verbrachte, ins hintere Montafon? Guyana liegt an der atlantischen Nordostküste Südamerikas. Das Land grenzt an Brasilien, Venezuela und Suriname. In Guyana herrscht das ganze Jahr über subtropisches Klima, es ist warm und häufig schwül. Regenwald, Reis- und Zuckerrohrfelder dominieren das Land. „Wir haben am Meer gewohnt, an der flachen Küste.“

Sharons Eltern waren Beamte. „Sie waren politisch aktiv. Mama war eine Feministin. Mama und Papa waren sehr liberal und progressiv. Es gab für mich keine Regeln. Ich konnte machen, was ich wollte.“ Das Mädchen, das dunkel- und hellhäutige Vorfahren hat, wollte unbedingt eine Schule in England besuchen. „Ich habe leidenschaftlich gerne Bücher über Internate und Internatsschüler gelesen.“ Solche Bücher begeisterten Sharon wahrscheinlich auch deshalb, „weil ich das Bedürfnis nach festen Regeln hatte“.
Die Eltern beherzigten ihren Wunsch und ließen ihre zehnjährige Tochter nach England gehen. Drei Jahre besuchte Sharon in Großbritannien eine Internatsschule. „Die Ferien verbrachte ich immer bei einer Frau, die eine Reitschule betrieb. Ich liebe Pferde und diese Frau war für mich eine Art Pflegemutter.“
“Ich hatte noch nie Berge gesehen. Ich habe mich sofort in sie verliebt.”
Sharon Maas, Schriftstellerin
Aus Dankbarkeit spendierte Sharons Mutter den beiden einen Urlaub. „Ich wurde gefragt, ob ich Sommer- oder Winterferien machen möchte. Ich dachte an einen Karibikurlaub im Winter und sagte deshalb, ich würde lieber Winterferien machen.“ Ihre „Pflegemutter“ überraschte sie dann mit der Entscheidung: „Wir machen Skiurlaub in Österreich.“ Sharon, die sich im kalten England nach Sonne, Strand und Meer sehnte, war entsetzt. „Aber ich habe nichts gesagt.“
So kam es, dass die Guyanaerin im Dezember 1962 in den Wintersportort Gaschurn reiste. Die beiden flogen nach Basel und fuhren dann mit dem Zug weiter nach Österreich. Bereits die Anreise war ein Abenteuer für die Südamerikanerin. „Ich habe zum ersten Mal Berge gesehen. Sie waren schneebedeckt.“ Die Schönheit der Berge überwältigte das Mädchen. „Ich hatte noch nie was Schöneres gesehen. Ich habe mich sofort in die Berglandschaften verliebt.“ Die zwei Gäste aus Großbritannien quartierten sich in Gaschurn im „Haus in der Sonne“ ein. „Es war ein Holzhaus, das in der Nacht knarrte“, erinnert sich Sharon. Das elfjährige Mädchen, das noch nie auf Skiern gestanden war, besuchte einen Skikurs. „Das Skifahren gefiel mir. Ich habe es ein bisschen gelernt. Aber danach bin ich nie wieder Ski gefahren.“

Sharon denkt gerne an den Aufenthalt im gebirgigen Montafon zurück. Aber so schön er auch insgesamt war, ein Vorfall in den Ferien beschäftigte sie noch lange, weil dieser für sie unangenehm und demütigend war. „Nach dem Skikurs wurde ich auf dem Weg zum Hotel von einer Gruppe von Kindern angehalten. Sie umzingelten mich und sangen laut: Negerlein! Negerlein!“
Freilich: Aus heutiger Perspektive sieht sie es anders. „Die einheimischen Kinder hatten halt schlichtweg noch nie einen braunhäutigen Menschen gesehen. Ich nehme es den Kindern nicht übel.“
Im März dieses Jahres kam Sharon erstmals wieder an den Ort zurück, in dem sie vor 60 Jahren Winterferien machte. „Gaschurn hat sich verändert, ist modern geworden.“ Eine Zufallsbegegnung mit einem Einheimischen berührte sie. „Es stellte sich heraus, dass seinen Eltern das Hotel gehört hatte, in dem meine Pflegemutter und ich einquartiert waren.“

Aber die Sharon, die ins Tal zurückkam, war nicht die Sharon, die hier Skifahren lernte. Dazwischen liegt ein Leben. Mit 17 kehrte Sharon nach England zurück, um ihre Abschlussprüfungen abzulegen. Mit 20 ging sie für längere Zeit nach Indien, „weil ich mich für Meditation und Yoga interessierte“. Ihren ersten Ehemann, einen Cellisten aus Frankfurt, lernte sie in einem Aschram kennen. „Wir haben dort auch geheiratet.“
Später studierte die junge Frau, die zu ihrem Mann nach Deutschland gezogen war, Sozialarbeit. „Ich wollte Menschen helfen.“ Sharon wurde Bewährungshelferin. Zuletzt arbeitete die Sozialarbeiterin mit minderjährigen Flüchtlingen.
Als ihr zweiter Ehemann, ein Bewährungshelfer aus Deutschland, dem sie zwei Kinder geschenkt hatte, im Jahr 2017 starb, verließ sie Deutschland nach mehr als 40 Jahren. „2018 übersiedelte ich nach Irland, weil dort meine Tochter und meine Enkel leben.“ Ihren Brotberuf – die Sozialarbeit – hat sie aus Altersgründen aufgegeben, nicht aber die Schriftstellerei, welcher sie seit ihrem 50. Lebensjahr nachgeht. „Schreiben ist meine eigentliche Begabung. Ich wollte schon immer schreiben.”
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