Wie eine fremde zur eigenen Familie wurde

Carmen erzählt von ihren Erfahrungen als Pflegekind.
Bregenz Carmen war fünfeinhalb, als sie in eine Pflegefamilie kam. Ihre Betreuerin vom Pflegekinderdienst hat die Lebensgeschichte der heute 22-Jährigen damals für sie ausgeschrieben. Daraus haben die Pflegeeltern ihrer Pflegetochter immer wieder vorgelesen. „Ich bin sehr froh, dass ich über die Gründe, warum ich in einer Pflegefamilie aufwuchs, nicht erst mit 14 oder so erfahren habe. Auf diese Weise konnte ich mich immer etwas mit meiner Geschichte und Vergangenheit auseinandersetzen“, sagt die junge Frau heute. Carmen lebt noch immer bei ihrer Pflegemama. Die hat die Handelsschule abgeschlossen und arbeitet als Bürokauffrau. Mit dem Auszug will sich die junge Frau noch etwas Zeit lassen. „Für mich ist das meine Familie.“
Liebe und Zuneigung
Ihre leiblichen Eltern hat Carmen seit rund acht Jahren nicht mehr gesehen, „da es mich irgendwann persönlich erdrückt hat und ich sehr unglücklich war“, erzählt sie offen. Vorher gab es einen regelmäßigen Kontakt. „Das war schön, aber auch bei jedem Abschied wieder traurig.“ Ganz am Anfang habe sie sich gewünscht, bei den eigenen Eltern aufwachsen zu können. „Das hat sich jedoch schnell gelegt, als ich erlebte, was ich in der neuen Familie an Liebe und Zuneigung bekomme und wie alle immer mehr zu meiner Familie wurden.“
Bei ihren Pflegeeltern, ihr Pflegevater ist mittlerweile verstorben, fühlte sich Carmen voll angenommen. Heute macht es sie stolz, wenn die Mama sagt: „Das ist meine älteste Tochter.“ Carmen weiß aber auch, was es heißt, nicht akzeptiert zu werden. Es gab Leute, die sie spüren ließen, dass sie nicht wirklich dazu gehört. Das habe sie oft verletzt. Doch sie konnte auf ihre Pflegefamilie zählen. Carmen nahm dann sogar den Namen ihrer Pflegeeltern an. Das war etwas ganz Besonderes für Jugendliche: „Du kommst zu wildfremden Menschen und entwickelst im Laufe der Zeit solche Gefühle, dass sie dein Zuhause sind, deine Eltern und besten Freunde. Für mich ist das bis heute ein bisschen wie ein Wunder.“
In das Kind hineinversetzen
Deshalb könnte sich Carmen gut vorstellen, selbst einmal ein Pflegekind aufzunehmen. „Ich sehe gerade bei einem kleinen Pflegebruder, wie das ist. Ich hoffe, dass ich dann die gleiche Stärke und Liebe wie meine Eltern habe, aber ich zweifle nicht daran, weil sie mir ein großes Vorbild waren und weiterhin sind“, sagt Carmen. Paaren, die ein Pflegekind aufnehmen möchten, empfiehlt sie, sich so gut es geht in das Kind hineinzuversetzen. An ihren Pflegeeltern hat sie geschätzt, dass sie nie schlecht über ihre leiblichen Eltern gesprochen, sie aber auch nicht verteidigt haben. So konnte sich das Mädchen seine eigene Meinung bilden. Ansonsten: „Den Kindern einfach gut zuhören, sich Zeit nehmen und vor allem Vertrauen aufbauen.“ Carmen weiß, wovon sie redet.
Pflegekinderdienst
Der Pflegekinderdienst des Vorarlberger Kinderdorfs sucht wieder Pflegeeltern. Infos: Isabella Böckle, Tel. 05522/82253-19, pflegekinderdienst@voki.at
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.