Mutti
Nie werde ich die schneeweiße Schürze meiner Mutter vergessen, die gestärkte Schleife in ihrem Rücken, den Spaß, den ich hatte, wenn es mir gelang, sie aufzuziehen, so dass die zwei Hälften der Schürze vorklappten, sich die Mutter umdrehte und mir mit dem Finger drohte.
Es gibt eine Photographie, die unser Vati machte und selber entwickelte. Sie hat gezackte Ränder. Mutti sitzt mit meiner Schwester und mir auf einer Bank, nahe am Waldrand, den Richard hält sie auf ihrem Schoß. Aus seinen feinen blonden Härchen wurde eine Tolle gedreht. Er sieht aus, als wolle er dringend von Muttis Schoß hinunter auf die Erde. Er wollte sich flach legen und dann den Hügel hinunter rollen.
Ich weiß noch, wie Mutti Kraut in feine Streifen schnitt und sie am Morgen den Rehen verfütterte. Sie standen still, und die Tiere fraßen ihr aus der Hand. Auch weiß ich noch, wie sie Butterflocken ins Vogelhäuschen legte, und als Vati sagte, dass das für Vögel nicht gesund sei, sagte sie, für andere vielleicht, für meine schon. Jedenfalls pickten und schleckten sie an der Butter, bis nichts mehr übrig war. Vor unserem Küchenfenster wuchs ein Vogelbeerbaum. Seine Blätter liebte die Ziege.
„Die roten Beeren sind nicht giftig“, sagte Mutti, „das ist ein Irrglaube, man kann sie essen, sie sind reich an Vitaminen“, und sie pflückte sie und steckte sie in den Mund. Ich tat es ihr gleich, gleich spuckte ich sie aus, weil sie so bitter waren. Mutti machte Marmelade aus den Vogelbeeren, die nur ihr schmeckte. Vati fand sie ungenießbar.
Mutti war viel krank, sicher vergiftet von den Beeren, dachte ich. Sie lag viel im Bett.
Meine Schwester und ich legten uns zu ihr, eine links, eine rechts, und sie las uns laut aus dem Buch vor, das sie gerade in der Hand hielt. So verstanden wir nicht richtig, worum es ging, aber das war unwichtig. Hauptsache, wir waren bei ihr. „Bring mir mein Parfumfläschchen“, sagte sie zu mir, „ich muss mich anträufeln, weil ich nach Hund rieche, das ist so, wenn man krank ist.“
Dann die vielen Besuche im Krankenhaus, Mutti immer appetitlich im weißen Nachthemd, sehr mager und schweigsam, die Hände weiß und kalt. Ihre Krankheit hatte für uns keinen Namen, aber man versprach uns, dass sie bald gesund würde.
An ihrem letzten Tag, wobei wir nicht wussten, dass es ihr letzter sein würde, brachte eine Schwester Apfelmus in einer kleinen Schale und fütterte sie wie ein Kind. Sie konnte das Apfelmus nicht bei sich behalten. Sie zitterte und fiel auf ihr Kissen zurück.
Am Todestag war ich mit meiner Freundin in der Ankergasse beim Turnen. Sie wollte mir ihren Hund vorführen. Als ich ein Kunststück gesehen hatte, das gar nicht wie ein Kunststück war, einfach nur Schwanzwedeln, lief ich nach Hause. Meine Schwester schlug den Kopf gegen die Wand. Meine Tante weinte in den Kochtopf. Da wusste ich es.
Meine Schwester und ich legten uns zu ihr, eine links, eine rechts, und sie las uns laut aus dem Buch vor, das sie gerade in der Hand hielt.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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