Wer zahlt?
Ob man von einer Pflege-„Reform“ sprechen kann, ist Ansichtssache. Die Maßnahmen, die der grüne Sozialminister Johannes Rauch diese Woche präsentiert hat, sind gut und wichtig: Mit Zustimmung des Koalitionspartners ÖVP wird eine Milliarde Euro zusätzlich für Pflegekräfte, ihre Ausbildung sowie pflegende Angehörige aufgewendet. Das sollte helfen, Leute in diesem Bereich zu halten und vor allem auch neue dafür zu gewinnen. Der Bedarf ist enorm. Es geht um Zehntausende, die in den kommenden Jahren nötig sind.
Der Staat wird hier Geld „lockermachen“. Oder „in die Hand nehmen“, wie man so sagt. Das muss er seit geraumer Zeit und zumindest auch in naher Zukunft häufig tun. Immer wirkt es alternativlos: In der Pandemie sieht man, dass ins Gesundheitssystem investiert werden muss; Spitalspersonal ist ausgebrannt. Unabhängig davon weiß man, dass sich auch in der Kinderbetreuung etwas tun muss; Pädagogen werden erbärmlich bezahlt. Der Ukraine-Krieg hat wiederum deutlich gemacht, dass das Bundesheer nach- und aufgerüstet werden muss. Und infolge der Teuerung schreitet Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) gerade zu einem großen Paket: Die kalte Progression soll abgeschafft werden. Damit soll Schluss sein mit der schleichenden Steuererhöhung, die zu Reallohnkürzungen führt. Bis 2026 geht es laut Brunner um neun bis elf Milliarden Euro.
„Darüber gehört diskutiert. Sonst gibt es ein böses Erwachen, Verteilungskämpfe inklusive.“
Bei alledem sollte man sich jedoch nichts vormachen: Hier werden einerseits (z.B. für die Pflege) Staatsausgaben erhöht und andererseits (durch die Abschaffung der kalten Progression) Staatseinnahmen reduziert. Das läuft auf einen riesigen Umbau hinaus. Darüber gehört diskutiert. Sonst kommt es zu einem bösen Erwachen, Verteilungskämpfe inklusive.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Es wird gespart, wo es geht; und (oder) es werden neue Steuern eingeführt. Johannes Rauch hat sich unlängst für die Einführung einer Erbschaftssteuer ausgesprochen. Für die ÖVP sagte die damalige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck „Nein“ dazu: Belastungen wären fatal für den Standort, meinte sie. Ein Sparpaket ist sie jedoch schuldig geblieben. Das geht sich nicht aus.
Nachdem auch wirtschaftlich die fetten Jahre vorbei sind, wird es zu echten Reformen kommen müssen. Förderungen sind in den vergangenen Jahren nicht durchforstet, sondern (schon vor Corona!) ausgeweitet worden. „Im System“ kam es zu keinen sichtbaren Einschnitten, weil es dazu mehr braucht als symbolische Akzente: Was gemeinhin als „Verwaltung“ bezeichnet wird, sind vor allem Lehrer, Ärzte, Pfleger, Polizisten und Soldaten; sie bilden den größten Teil des Personals. Genauso wie ein entscheidender Teil der gesamten Staatsausgaben nicht auf Verschwendung, sondern auf altersbezogene Leistungen wie Pensionen entfällt.
Wo also ansetzen? Gerade weil mehr Geld für Pflege und viele andere Dinge unausweichlich erscheint, ist eine ernsthafte Debatte überfällig. Auch wenn’s wehtut, unpopulär ist und daher besonders einer ÖVP schwerfallen mag, die ohnehin schon um ein Drittel weniger Zuspruch erfährt als bei der letzten Nationalratswahl.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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