Ritter von Bergmann und der „Eklat in der Wissenschaftsgeschichte“

Josef Bergmann gilt als Begründer der Landesgeschichtsschreibung.
Von Georg Sutterlüty
Hittisau Unverhofft kommt oft. 2016 ging Harald Weigel, der damalige Leiter der Vorarlberger Landesbibliothek, einem Hinweis nach, im Feldkircher Gymnasium Rebberggasse befinde sich ein Brief des berühmten Professors Karl Lachmann. Der im 19. Jahrhundert wirkende germanistische Mediävist stand in einem fachlichen Konflikt mit dem aus Hittisau stammenden Josef Bergmann (1796-1872) – als geadelter Ehrenmann auch Ritter von Bergmann genannt –, seines Zeichen Historiker und Philologe in Wien. Da waren sich zwei führende Wissenschaftler in die Haare geraten, Weigel spricht von einem „Eklat in der Wissenschaftsgeschichte“. Über Lachmann hatte er vor Jahren promoviert, dabei Archive von Washington bis Moskau angeschrieben. Nach Feldkirch hatte er damals noch nicht geblickt. Das sollte kurz vor seiner Pensionierung passieren – mit für ihn weitreichenden Folgen.
Brief in der Bergmannlade
Der Brief befand sich in der sogenannten Bergmannlade, einer Kiste, in der die Briefe, Autografen und andere Dokumente des Hittisauer Gelehrten verwahrt waren. Der schriftliche Nachlass war noch im 19. Jahrhundert nach Feldkirch ans Gymnasium gekommen, doch wurde die Lade seitdem nur selten geöffnet. Weigel war klar, dass dieser Schatz ausgehoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht gehörte. Er veranlasste, dass dieser 2017 als Dauerleihgabe ins Franz-Michael-Felder-Archiv überführt wurde und schließlich, als er 2018 in Pension ging, setzte er sich selber vor die vielen Schriftstücke, um diese zu ordnen und zu erschließen – dies alles in Ehrenamt. Im Sommer 2020 legte Weigel seinen Arbeitsbericht und Katalog vor: Die Aufschlüsselung des Gesamtwerks von Josef Ritter von Bergmann veranschlagte sage und schreibe 265 Seiten.
Historiker von großer Bedeutung
Bergmann ist für Vorarlberg vor allem als Historiker von großer Bedeutung. Er gilt als Begründer der modernen, auf Quellen fußenden Landesgeschichtsschreibung. „Seine Leistung als Wissenschaftler war innovativ“, erklärt Weigel, „sie entstammte den Voraussetzungen des 19. Jahrhunderts. In seiner Zeit war er zweifellos bahnbrechend.“ Der Hittisauer musste sein Handwerk selbst erlernen, noch gab es im universitären Bereich kein Ausbildungsfach in Geschichte: „Da lernte man im Selbstversuch und durch Korrespondenzen mit namhaften Historikern.“ Der innovative Gehalt lag vor allem im Zauberwort „Kritik“. Jede Überlieferung musste begründbar sein, jeder Sachverhalt anhand von Quellen überprüfbar, so Weigel.

So kam Vorarlberg im 19. Jahrhundert allmählich zu seiner Geschichte. Bergmann verfasste kürzere und längere Aufsätze: Vom Weiberaufstand 1647 an der roten Egg im Bregenzerwald über die Besiedelungsgeschichte der Walser bis zu den Grafen von Hohenems. 1868 fasste er seine Kenntnisse in einem Buch, in der „Landeskunde von Vorarlberg“, zusammen. Damit schuf Bergmann – mehr oder weniger bewusst – eine wichtige Stütze für die Herausbildung eines Landesbewusstseins: „Er lieferte dem Vorarlberger die Grundlagen, sich über sich selbst als soziales Wesen in einem größeren Ganzen klar zu werden“, resümiert Weigel. Praktisch gesprochen: In den Köpfen festigte sich das Bild eines selbstständigen Landes mit einer eigenen Geschichte. Vor diesem Hintergrund brauche man sich vor der Welt nicht zu verstecken.
Josef Bergmann
Geboren am 13. November 1796 in Hittisau als zweites von fünf Kindern. Nach der Gymnasialzeit in Feldkirch und Kempten studiert er in Wien Rechtswissenschaften und Philologie.
1828 Kustos am Münz- und Antikenkabinett der Ambraser Sammlung.
1848 Aufnahme in die Wiener Akademie der Wissenschaften.
1866 Verleihung des Adelstitel „Ritter von Bergmann“.
1868 Veröffentlichung der „Landkunde von Vorarlberg“. Insgesamt verfasst er 237 wissenschaftliche Arbeiten, 87 davon handeln über Vorarlberg.
Bergmann stirbt am 29. Juli 1872 bei Graz, er hinterlässt seine Frau und vier Kinder.
Die Gemeinde Hittisau veranstaltet in Zusammenarbeit mit der „Werkstatt-Geschichte“ vom 1. bis 3. Juli 2022 eine Gedenkreihe zum 150. Todestag Bergmanns. Harald Weigel wird am Freitagabend (1. Juli) den Festvortrag über Bergmann im gleichnamigen Saal in Hittisau halten. Weitere Infos unter: www.werkstatt-geschichte.at
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