Luhansk laut Russland erobert

Die Sanktionen gegen russische Oligarchen sind weiter zu selektiv, um Druck aufzubauen.
Wien, Kiew Nach wochenlangen Kämpfen haben russische Truppen nach eigener Darstellung die ostukrainische Bastion Lyssytschansk erobert und damit die Kontrolle über die gesamte Region Luhansk übernommen. Dort lebten vor Beginn des Kriegs mehr als 100.000 Menschen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu informierte Präsident Wladimir Putin offiziellen Angaben zufolge am Sonntag darüber, dass das ganze Gebiet Luhansk „befreit“ worden sei.
Die Ukraine widersprach den russischen Angaben. Am Sonntagabend wurde schließlich der Rückzug verkündet. Die ukrainischen Streitkräfte mussten nach eigenen Angaben aus der Stadt Lyssytschansk abziehen. Eine weitere Verteidigung der Stadt hätte fatale Konsequenzen gehabt, teilte die Militärführung mit. Um das Leben der ukrainischen Soldaten zu retten, sei die Entscheidung zum Abzug getroffen worden. Lyssytschansk war die letzte ukrainische Festung in der Provinz Luhansk. Moskau hatte zuvor mitgeteilt, Luhansk vollständig erobert zu haben. Auch aus anderen Landesteilen wurden erneut Kampfhandlungen gemeldet. Russische Truppen gelangen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau Schläge gegen militärische Infrastruktur im ostukrainischen Charkiw. Im Süden wiederum sei am Rand von Mykolajiw ein Stützpunkt getroffen worden, der von ausländischen Kämpfern genutzt werde.
Wirkungslose Sanktionen
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert inzwischen schon mehr als vier Monate. Ein Hebel, um in den USA und in Europa Druck gegen Präsident Wladimir Putin aufzubauen, wären konsequente Sanktionen gegen russische Oligarchen. Diese Chance blieb jedoch bislang ungenutzt, sagt die Russlandexpertin Elisabeth Schimpfössl den VN. Die Rankweilerin ist Dozentin für Soziologie und Politik an der Aston University in Birmingham und beschäftigt sich unter anderem mit Oligarchen. „Mit diesen tröpfelnden, individuellen Sanktionen haben die Leute natürlich angefangen, ihre eigene Haut zu retten.“ Wäre von Anfang an großflächig sanktioniert worden, hätten sie in gleicher Qualität reagiert, sagt die Wissenschaftlerin: „Es muss eine kritische Masse treffen. Das ist aber nicht passiert.“
Zudem sind zahlreiche russische Milliardäre von Sanktionen bislang weitgehend verschont geblieben. Unter ihnen ist zum Beispiel Wladimir Potanin, wie Elisabeth Schimpfössl berichtet. Mit circa 17 Milliarden Euro ist er laut „Forbes“ derzeit der zweitreichste Russe. Der Nickel-Magnat gilt dem Kreml gegenüber als loyal. Mit Strafmaßnahmen ist er jedoch auch deshalb nicht belegt worden, da sein Geschäft als zu wichtig für den Welthandel gilt. Nur Roman Abramowitsch hat stark verloren. Die US-Justiz hat erst jüngst die Beschlagnahmung von zwei Flugzeugen angeordnet. Abramowitsch werden enge Verbindungen zum russischen Staatschef Putin nachgesagt.
Die Lobbyanstrengungen seien unterdessen in Großbritannien schon voll im Gange, berichtet Schimpfössl. Tenor ist, dass man die Sanktionen wieder lockern sollte. „Meine Prognose ist, dass der Westen nicht ganz zurück rudern kann, aber 90 Prozent der Oligarchen werden wohl rehabilitiert und wieder in das alte System eingegliedert werden“, sagt die Wissenschaftlerin. VN-JUS


Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.