Inseratenwillkür fortgesetzt
Bundesregierung: Nach welchen Kriterien Steuermillionen vergeben werden, bleibt unklar.
WIEN Noch seien keine Lehren aus den Inseratenaffären in der Bundesregierung gezogen worden, die im vergangenen Herbst mit zum Rücktritt des damaligen Kanzlers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz geführt haben, berichtete der Medienexperte Andy Kaltenbrunner gestern auf einer Pressekonferenz in Wien. Es gebe nur eine Ausnahme: Das Finanzministerium hat unter Führung von Magnus Brunner (ÖVP) im ersten Quartal dieses Jahres 9265,95 Euro für Informationskampagnen in Tageszeitungen aufgewendet. Im Vergleichszeitraum 2021 hatte es unter Amtsvorgänger Gernot Blümel (ÖVP) noch sehr viel mehr Steuergeld dafür lockergemacht, nämlich 1,6 Millionen Euro.
Alles beim Alten
Abgesehen davon ist im Wesentlichen alles beim Alten geblieben. Kaltenbrunner weiß das. Er leitet das Medienhaus Wien und hat die Inseratenpolitik der Regierung in Tageszeitungen soeben zum dritten Mal untersucht. 2021 belief sich das Gesamtvolumen auf 28,2 Millionen Euro. Knapp 60 Prozent davon entfielen auf die Boulevard- und zum Teil auch Gratiszeitungen „Krone“, „Österreich“ und „Heute“, die vor allem in der Bundeshauptstadt gelesen werden. Die Frage nach dem „Warum“ stellt sich für den Wissenschaftler immer wieder. Antworten bekommt er so gut wie nie von denen, die dafür verantwortlich zeichnen. Offenbar hänge es von persönlichen und parteilichen Interessen des jeweiligen Ministers ab, wo wie stark inseriert wird, meint er und liefert damit eine Umschreibung von Willkür. Das Bundeskanzleramt ist unter Kurz zum größten Auftraggeber innerhalb der Regierung aufgestiegen. Das hängt auch damit zusammen, dass hier seit 2020 alle Informationskampagnen zur Coronapandemie gebündelt werden. Kaltenbrunner ist am Ballhausplatz zumindest auf eine Formel gestoßen, nach der die Vergabe erfolgen soll. Demnach wird nicht nur darauf geachtet, wie viele Leser eine Zeitung hat, sondern auch, wie viele Exemplare gedruckt werden. Kaltenbrunner findet das befremdlich, entspricht das doch einer Produktionsförderung, von der auflagenstarke Gratiszeitungen besonders profitieren. Relevant sein sollte in Wirklichkeit neben der Anzahl der Menschen, die erreicht werden, welche Kommunikationsziele angestrebt werden. Allein: Auf solche Ziele ist der Forscher bei all seinen Recherchen nicht gestoßen. „Sie sind unklar“, sagt er.
Abseits des Bundeskanzleramts macht dem Experten zufolge jedes Ressort, was es will: 2021 schüttete das Innenministerium, das damals noch vom heutigen Regierungschef Karl Nehammer (ÖVP) geleitet wurde, 90 Prozent seiner Inseratenausgaben an „Krone“, „Österreich“ und „Heute“ aus. Beim Landwirtschaftsministerium von Elisabeth Köstinger (ÖVP) war es auch so. Im grünen Klimaschutzministerium mit Leonore Gewessler an der Spitze entfiel der relativ größte Teil des Kuchens auf die Qualitätszeitung „Der Standard“. Wobei: In Summe machten die Regierungsinserate pro Leser 2,20 Euro beim „Standard“ und 8,30 Euro bei „Österreich“ aus, wie Kaltenbrunner für die Studie „Scheinbar Transparent“ errechnete. Bei den VN handelte es sich um 4,67 Euro.
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat im Auftrag von Kanzler Nehammer im Jänner immerhin eine Reform der Medienförderung und auch der Inseratenpolitik angekündigt. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Bis Jahresende soll es so weit sein. JOH
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