Wenn Vorarlberg keine Gletscher mehr hat

Vorarlberg / 09.07.2022 • 05:30 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Wenn Vorarlberg keine Gletscher mehr hat
Sandra Braumann (links) und Andrea Fischer (rechts) kennen die Vorarlberger Gletscher aus ihrer Forschungstätigkeit.

Innerhalb einer Lebensspanne könnte Vorarlberg im Sommer aper sein, ganz ohne Gletscher. Doch was bedeutet das?

Schruns Vorarlbergs Gletscher werden immer instabiler. Wanderer sollten sich daher vor Ort gut über die Gefahrenlage informieren, bittet die Landeswarnzentrale. Hochtouren werden durch die bereits im Frühsommer einsetzende Schmelze gefährlicher. Doch was bedeutet das und könnten die Gletscher vollständig verschwinden?

Gletscher schmelzen weiter

Fix ist bereits, dass die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze dramatische Ausmaße angenommen hat. Den menschliche Einfluss könne man nicht leugnen, betont Sandra Braumann. Die Gletscherforscherin der Universität für Bodenkultur wurde mit dem Montafoner Wissenschaftspreises 2020 für ihre Gletscherforschung ausgezeichnet. Ohne den Mensch würden die Temperaturen stagnieren oder sogar eher fallen, anstatt wie derzeit zu steigen. Und ihre Forschung zeigt auf, wie sensibel die Gletscher auf den Klimawandel reagieren.

Die Silvrettagletscher im Wandel der Zeit, wie von Sandra Braumann und ihren Kollegen ausgearbeitet: In Grün rekonstruierte Ausmaße der Gletscher am Ende der Jungen Dyras, dem letzten großen Kälterückfall der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren. In Dunkelblau die Silvretta etwa 1000 bis 2000 Jahre danach, in Rosa während der Kleinen Eiszeit zwischen 1250 und 1850. In Hellblau die Situation 2016. Braumann et al, <a href="https://www.nature.com/articles/s41598-022-12477-x">Moraines in the Austrian Alps record repeated phases of glacier stabilization through the Late Glacial and the Early Holocene | Scientific Reports (nature.com)</a>
Die Silvrettagletscher im Wandel der Zeit, wie von Sandra Braumann und ihren Kollegen ausgearbeitet: In Grün rekonstruierte Ausmaße der Gletscher am Ende der Jungen Dyras, dem letzten großen Kälterückfall der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren. In Dunkelblau die Silvretta etwa 1000 bis 2000 Jahre danach, in Rosa während der Kleinen Eiszeit zwischen 1250 und 1850. In Hellblau die Situation 2016. Braumann et al, Moraines in the Austrian Alps record repeated phases of glacier stabilization through the Late Glacial and the Early Holocene | Scientific Reports (nature.com)

Die Gletscher würden selbst dann weiterhin schmelzen, wenn die Klimaerwärmung sofort stoppen würde. Da der helle frische Schnee oft ausbleibt und das dunklere Gletschereis und herausstehende Felsen mehr Energie aufnehmen, schmelzen die Gletscher weiter – und schneller. Schweizer Forscher erwarten, dass selbst bei der positivsten Betrachtung bis 2100 mindestens drei Viertel der jetzigen Gletscherflächen verschwinden. In Vorarlberg sieht Braumann daher den gesamten Gletscherbestand zumindest gefährdet.

Ein Sonderfall ist noch der Litzner Gletscher. “Dort ist die Schuttbedeckung so mächtig, dass die Abschmelzung des verbliebenen Eises verzögert wird”, weiß Andrea Fischer. Die Gletscherforscherin ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung.

Da sich die Warmperiode in das Frühjahr und Herbst verlängert, schmelzen die Gletscher auch länger. So waren die Gipfel der Silvretta am 5. Oktober 2021 schneefrei, während früher im September bereits die Schmelzzeit abgeschlossen war.

Der Gletscherschwund am Ochsentaler Gletscher in den Jahren 2004 bis 2017 zeigt die Geschwindigkeit, in dem die Gletscher verschwinden. <span class="copyright">Akademie der Wissenschaften</span>
Der Gletscherschwund am Ochsentaler Gletscher in den Jahren 2004 bis 2017 zeigt die Geschwindigkeit, in dem die Gletscher verschwinden. Akademie der Wissenschaften

Steinschlaggefahr

Die Folgen: Freiwerdende Schuttablagerungen werden zum Quell von möglichen Steinschlägen, Permafrostböden wie am Kleinen Buin tauen auf und erosieren. Wanderwege und Kletterrouten müssen den neuen Umständen angepasst werden, erinnert Braumann. Die Umstände werden insgesamt gefährlicher, da die Böden nicht einmal mehr in der Nacht gefrieren. “Wichtig ist für Bergsteigerinnen, auf Gefahrenzeichen zu achten”, betont Fischer. “Also Spuren frischen Stein- oder Eisschlags, die man durch hellere Farbe, frische Brüche und und Spuren entlang der Sturzbahn älterer Ablagerungen unterscheiden kann.” Auch auf frische Risse im Eis und Fels ist zu achten.

“Da eine solche Situation historisch noch nie dokumentiert wurde, werden wir diesen Sommer sicherlich einiges dazulernen”, betont Fischer. Derzeit ist zumindest keine Gefährdung des Siedlungsraumes zu befürchten.

Seen statt Eis

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Die Gletscher haben auch eine wichtige Funktion als Wasserspeicher. Statt in den Eisgletschern sammelt sich das Wasser nun in sich neu bildenden Gletscherseen. Diese bergen eigene Gefahren: Das nun apere Geländer ist selten besonders stabil, warnt Fischer. Das Wasser könnte sich neue Wege ins Tal suchen, Sturzfluten wären denkbar. Viele der Seen verlanden aber innerhalb weniger Jahre. Damit landen immerhin weniger Sedimente in den Stauseen.

Gleichzeitig ist gerade aber auch der Ochsentaler Gletscher einer der Quellen der Ill. Die Illwerke vkw fürchten aber noch nicht um ihre Stauseen und deren Zuflüsse. Da sich die Niederschläge bislang eher zeitlich verschieben statt ausbleiben, sollten die Zuflüsse insgesamt stabil bleiben. Der Masseverlust der Gletscher macht nur wenige Prozent des Zustroms aus, eine Gefahr der Energieversorgung sieht man daher auch ohne Gletscher nicht.

Vortrag Über die Gletscher der Inatura

„Vom Schmelzen und Schwinden – die Alpengletscher im Silvrettamassiv“

von Sandra Braumann, Gletscherforscherin an der Universität für Bodenkultur und Gewinnerin des Montafoner Wissenschaftspreises 2020 und Günther Gross, Geograph und Gletschervermesser des Alpenvereins.

Kunstforum Montafon, Kronengasse 6, Schruns

Montag, 11. Juli 2022, 19:30 Uhr

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