Ein Gespür für die Geschwindigkeit

Vorarlberg / 11.07.2022 • 17:07 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Markus Neser steigt als Beifahrer ein. In der Hand hat er das Fahrtenbuch.
Markus Neser steigt als Beifahrer ein. In der Hand hat er das Fahrtenbuch.

187 Teilnehmer gingen bei der 24. Silvretta Classic Rallye in Partenen an den Start.

Partenen Abgasgeruch liegt in der feuchten Luft. Auf der Rückbank ist es zwar eng, aber nicht ungemütlich. Der Rücken schmiegt sich sanft in die gepolsterte blaue Rücksitzbank des hellblauen BMWs 3,0 CS, Baujahr 1973. Vorne am Armaturenbrett läuft der Kilometerzähler lautstark mit. Der ist auch wichtig für die gesamte Tour, orientiert sich der Beifahrer doch an jedem Meter, der auf dem Zähler umspringt. „Das Gehirn sitzt rechts“, erklärt Beifahrer Markus Neser von der Württembergischen Versicherung. Er muss den Fahrer navigieren, das Fahrtenbuch lesen und bei den Wertungsprüfungen die Zeit stoppen bzw. die Sekunden herunterzählen – eine wichtige Aufgabe.

Die exakte Zeit entscheidet

Stefan Albrecht sitzt am Steuer des 180 PS Schlittens. Er hat ein Gespür für das Auto und seine Geschwindigkeit. Das muss er auch haben, denn bei der 24. Silvretta Classic Rallye fährt man nicht nur gemütlich durch die Gegend, sondern muss auch ein paar Wertungsprüfungen ablegen. Dabei gibt es abgesteckte Streckenabschnitte, die man exakt in einer vorgegebenen Zeit (bspw. 15 sec.) ohne stehenzubleiben durchfahren muss. Gemessen wird mit einer Lichtschranke und/oder einem Schlauch. Bewertet wird demnach nicht, wer am schnellsten unterwegs war, sondern wer das beste Gespür für die Zeit und Geschwindigkeit hatte.

Markus sitzt mit zwei mechanischen Stoppuhren da, denn bei manchen Prüfungen muss man im fließenden Übergang hintereinander unterschiedliche Zeiten oder in variablen Längen die gleiche Zeit fahren. „Da tue ich mir mit zwei Stoppuhren leichter“, sagt er. „Handystoppuhren sind allerdings nicht erlaubt.“ Am Ende entscheiden Hundertstel über Sieg oder Niederlage, denn pro Hundertstel Abweichung gibt es einen Strafpunkt.

187 Teilnehmer gingen an den Start, die weitesten kamen aus dem Norden Norwegens. Helge Holck-Dykesteen und Ove Torsteinboe wollten eigentlich mit ihrem Chevrolet Corvette „Indy Pace Car“ kommen, der aber auf Höhe Rostock kaputtgegangen ist. Dann mussten sie wieder zurückfahren und mit einem Ersatzauto antreten. Auch Luxemburger, Österreicher, Schweizer, Tschechen und Ungarn traten bei der Rallye an, doch die meisten Teilnehmer kamen aus Deutschland. Insgesamt fuhren 30 verschiedene Marken aus neun Jahrzehnten mit. Das älteste Gefährt war ein Bentley aus 1929.

Mehrere Millionen Euro (allein ein Mercedes 300 SL kostet geschätzt über eine Million Euro) fuhren drei Tage lang durch die Bergwelt Vorarlbergs und Tirols. Am vergangenen Donnerstag schlängelten sich die Oldtimerfans nach dem Go von Bürgermeister Daniel Sandrell, der die Rennfahne schwang und selbst zwei Oldtimer besitzt, auf die Bieler Höhe und im Anschluss durch das Montafon mit seinen Seitentälern Silbertal und Gargellen. Am Freitag stand mit 295 Kilometern die längste Tour auf dem Plan. Mit den Karosserien ging es nach der Hochalpenstraße das Paznauntal hinunter, anschließend über Ischgl nach Seefeld und über Kühtai, Imst und Landeck zurück nach Gaschurn, wo das Därflifest zum Ausklang auf die Fahrer wartete. Am Samstag fuhren die Oldtimerfans durch das Große Walsertal und über das Furkajoch zurück.

Eingespieltes Team

Markus und Stefan sind schon seit fünf Jahren ein eingespieltes Team, doch Rallyes fahren beide schon viel länger. Markus ist seine erste Rallye Anfang der 90er-Jahren gefahren und auch Stefan hat schon viele hinter sich. Beide leiten die Abteilung Oldtimer der Württembergischen Versicherung und nutzen solche Gelegenheiten, mit (potenziellen) Kunden und Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen, um nicht betriebsblind zu werden. „Wir sind der Kontakt an der Basis“, sagt Markus. Sieben bis acht Rallyes absolvieren die beiden im Jahr, jedoch in unterschiedlichen Besetzungen und nicht immer zusammen.

Beide fahren am liebsten mit dem PS-starken BMW 3,0 CS. „Der geht ganz gut“, ist Stefan mit dem Auto höchst zufrieden. „Bei dem ist der Fahrspaß am größten, weil er so sportlich ist“, schlägt Markus in die gleiche Kerbe. Selbst besitzt Markus einen BMW Cabriolet, Jahrgang 1992, Stefan einen Alpha von 1975. Während Markus die Silvretta Classic Rallye noch nie gefahren ist, nahm Stefan zuletzt 2001 daran teil. Die beiden wollen aber nicht nur dabei sein, sie wollen natürlich auch „so gut wie möglich fahren“, so Stefan. Darauf hintrainieren tun die zwei aber nicht, im Gegensatz zu manch anderen, die sich daheim eine Lichtschranke zur Zeitmessung aufgebaut haben.

Es gibt verschiedene Arten von Rallyes. Bei manchen sitzt der Beifahrer mit einer Landkarte auf dem Schoß und muss den Fahrer über den kürzesten Weg zum Ziel navigieren. Dann gibt es Rallyes, bei denen man exakt in einer vorgegebenen Durchschnittsgeschwindigkeit fahren muss, und wieder andere haben geheime Messungen eingebaut.

Unplanbarkeiten

Ziel bei der Silvretta Classic Rallye, deren Ausrichter die Zeitschrift auto, motor und sport sowie die Motor Klassik sind, ist es, die Bordkarte und Zeit exakt einzuhalten. Gerade die Zeitmessung in einer Kurve sei schwierig, da die Front des Autos schräg in die Lichtschranke hineinrutscht. Bei der ersten Prüfung waren Markus und Stefan 34 Hundertstel zu schnell, bei der Rollprüfung (Auto darf nur rollen) eine halbe Sekunde zu schnell.

Auch Unplanbares passiert: Bei der Prüfung in Bartholomäberg hat der Vordermann die Ausfahrt aus der Lichtschranke blockiert. Da es um jede hundertstel Sekunde geht, musste Stefan schnell handeln und raste knapp am stehenden schwarzen Mercedes vorbei, um selbst keine Strafpunkte zu bekommen. Stau gab es bei der Wertungsprüfung an der Ill, als ein Oldtimer vor dem Start der Zeitmessung liegengeblieben war. Auch solche Unplanbarkeiten muss man einkalkulieren, weshalb Stefan lieber zu schnell als zu langsam fährt, um noch genug Puffer übrig zu haben. Aber bei 180 PS macht das schnellere Fahren sowieso mehr Spaß. VN-JUN

„Bei dem ist der Fahrspaß am gößten, weil er so sportlich ist.“

Der älteste Wagen war ein Bentley aus dem Jahr 1929, gefahren von Ewald und Gabi Sprey. Die Fahne schwang Daniel Sandrell.VN/JUN
Der älteste Wagen war ein Bentley aus dem Jahr 1929, gefahren von Ewald und Gabi Sprey. Die Fahne schwang Daniel Sandrell.VN/JUN
Fahrer Stefan Albrecht auf der Silvretta Hochalpenstraße mit dem hellblauen BMW 3,0 CS, Baujahr 1973.
Fahrer Stefan Albrecht auf der Silvretta Hochalpenstraße mit dem hellblauen BMW 3,0 CS, Baujahr 1973.

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