Runter vom Gas
Der Grat zwischen Realitätsverweigerung und Panikmache ist schmal. Zumal niemand weiß, wie sich die Energieversorgung im Winter entwickeln wird. Es ist jedoch nötig, vom Schlimmsten auszugehen. Wie die Schweiz etwa. Dort hat die Regierung festgelegt, was im Notfall geschieht: Zunächst gibt es Sparappelle. Dann werden Skilifte eingestellt und Hallenbäder geschlossen. Sollte noch viel mehr erforderlich sein, wird die Stromversorgung alle paar Stunden unterbrochen. Auch in Deutschland werden konkrete Pläne geschmiedet: Der Städtetag empfiehlt, öffentliche Wärmestuben einzurichten, in denen sich all jene aufhalten können, die ihre Wohnung nicht mehr heizen können. Auch die EU ließ diese Woche aufhorchen: Sie regt für Büros eine Maximaltemperatur von 19 Grad an. Im Winter, wohlgemerkt.
Und Österreich? Man sollte nicht jammern, es ist jedoch zum Schreien: Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigt eine Kampagne an und meint vorab lediglich, dass man zu Hause nicht baden, sondern duschen solle; und dass beim Kochen ein Deckel auf den Topf gehört. Eh. Wo aber ist diese Deutlichkeit, mit der Deutschland und die Schweiz zum Ausdruck bringen, dass es um viel mehr geht?
Vielleicht sind es die katastrophalen Umfragewerte, die Gewessler und vor allem auch ihren Chef, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), davor zurückschrecken lassen. Wenn dem so sein sollte, wäre es jedoch besser, sie würden Platz machen. Umfragen dürfen hier keine Rolle spielen.
„Es braucht eine klare Führung in der Regierung.“ Sagt nicht irgendwer, sondern die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Das kommt einem „Nicht genügend“ für Nehammer gleich. Er bleibt schuldig, was gefordert wäre.
Es wäre so wichtig, allen in Österreich klarzumachen, was im Winter passieren könnte. Auch wenn es wehtut. Es würde helfen, sich besser vorzubereiten und zu unterstreichen, dass es auf jeden Mann und jede Frau, jedes Unternehmen und jeden Verein ankommt. Gerne könnte man dabei auch in Erinnerung rufen, wie stark die Gesellschaft sein kann. In der Pandemie hat sich das gezeigt: Rückblickend grenzt es an ein Wunder, wie gut das Land all die Lockdowns wirtschaftlich und sozial überstanden hat. Die erfreuliche Beschäftigungslage und die relativ niedrige Arbeitslosigkeit zeugen davon. Möglich ist unheimlich viel, auch im Positiven.
Denkbare Herausforderungen lassen sich aber nur bewältigen, wenn alle zu Beteiligten gemacht werden. Dem widerspricht es, den Eindruck zu erwecken, dass die Gasversorgung im Falle des Falles bei Unternehmen, nicht aber bei Haushalten rationiert wird. Wenn schon, dann sollte hinzugefügt werden, dass Haushalte ebenfalls sorgsam sein müssen, um Unternehmen so lange wie möglich vor Produktionsstopps zu bewahren.
Alle zu Beteiligten zu machen könnte auch heißen, nicht nur die, die knapp bei Kasse sind, spritsparend Autofahren zu lassen: Wenn schon kein autofreier Tag in Aussicht gestellt wird, dann wäre zumindest eine Temporeduktion von 100 auf 80 km/h auf Landstraßen sowie von 130 auf 100 km/h auf Autobahnen zumutbar. Das wäre noch dazu ökologisch wirkungsvoll.
„Alle zu Beteiligten zu machen könnte auch heißen, nicht nur die, die knapp bei Kasse sind, spritsparend Autofahren zu lassen.“
Johannes Huber
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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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