Warum Wölfe trotz Nutztierrissen geschützt bleiben sollen

Wolfexpertin Magdalena Erich sieht den Beutegreifer als Bereicherung auch bei uns.
Schwarzach Magdalena Erich (49) ist Wildbiologin im Dienste des World Wildlife Funds (WWF). Als solche warnt sie vor einer Hysterie gegen Wölfe, auch wenn die Raubtiere derzeit durch Risse von Kühen in der Schweiz für emotionale Abschussforderungen sorgen.
Die Expertin verlangt mehr Herdenschutzmaßnahmen und spricht dem Wolf seine Existenzberechtigung im Naturraum zu.
In Graubünden reißt ein Wolfrudel Mutterkühe, die Bauern toben. Was geht Ihnen als Wolfschützerin da durch den Kopf?
Zum Ersten Mitgefühl mit den Nutztierhaltern, die um ihre getöteten Tiere trauern. Ich kann auch verstehen, dass man als erste Reaktion Abschüsse fordert. Man geht damit jedoch in die falsche Richtung. Ich würde stattdessen mehr Herdenschutzmaßnahmen und deren Finanzierung fordern. Zumal man ja einzelne Problemwölfe entnehmen darf. Man darf auch nicht vergessen: Wölfe ernähren sich zu 96 Prozent von anderen Wildtieren: Rehe, Rothirsche, Wildschweine. Sie fokussieren sich auf krankes und schwaches Wild und nehmen dadurch eine wichtige Rolle als Gesundheitspolizei in der Natur ein.
Aber wie können Wölfe plötzlich auch Kühe töten? Ist da nicht eine rote Linie überschritten?
Ich kann diese Vorkommnisse in Graubünden nicht beurteilen. Ich weiß nicht, was da warum passiert ist. Dass Wölfe Kühe angreifen, ist extrem selten. Ich habe von vereinzelten Fällen in Europa gehört. Aber das betraf Kälber. Und die muss man natürlich auch schützen. Man muss sich in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen: Sind Kühe ohne Hörner vielleicht eher gefährdet?

Kommen wir zu den Vorfällen in Graubünden zurück. Muss da nicht das gesamte Rudel getötet werden?
So etwas kann ich nicht befürworten, ohne die Einzelheiten zu kennen.
Haben Sie keine Kontakte zu Verantwortlichen in der Schweiz?
Von einem europaweiten Großprojekt kenne ich Schweizer Kollegen. Mir ist die allgemeinde Situation in Graubünden durchaus bekannt. Aber die aktuellen Vorkommnisse kann ich, wie gesagt, nicht beurteilen. Ich war ja auch schon im Zuge von Wolfprojekten auf Exkursion in den Schweizer Bergen. Und da ist mir ein Älpler noch in guter Erinnerung. Der hatte dort Herdenschutzhunde, die ihm Wölfe vom Leib hielten. Darüber war er sehr froh.
In Graubünden schien man sich irgendwie mit der Existenz von Wölfen arrangiert zu haben. Im Lichte dieser Attacken auf Kühe ist die Stimmung am Kippen. Welche Signalwirkung kann das für Europa haben?
Ich kann die Nutztierhalter verstehen. Dennoch muss man relativieren, und darf auch jetzt keine falschen Schlüsse ziehen. Nur ein Vergleich: Gaubünden hat mehr Wölfe als Tirol, aber weniger Nutztierrisse. Insgesamt gibt es dort ja sechs Rudel.
Wie groß ist das Verständnis für Wölfe in Österreich?
Die Mehrheit der Österreicher befürwortet die Präsenz von Wölfen im Land. Von der Politik kommt der Wolf jedoch immer nur im Zusammenhang mit Problemwölfen und geforderten Abschüssen ins Gerede. Gerade in Tirol gibt es jedoch schon Verbesserungen im Sinne von mehr Herdenschutzmaßnahmen.
Gibt es in Österreich Beispiele für erfolgreiche Herdenschutzmaßnahmen?
Da möchte ich ein Pilotprojekt in Tirol erwähnen, das vom Land initiiert und objektiv dargestellt wurde. Und zwar geht es da um eine Herde mit 800 Tieren, die in der Nacht in einem Pferch untergebracht wurden. Da ist nichts passiert.
Welche Entwicklungen mit Wölfen zeichnen sich generell für die kommenden Jahre ab?
Es werden mehr Wölfe zu uns kommen. Das liegt an der Situation bei den Nachbarn. Die Schweiz hat 16 Rudel, Südtirol und Trentino 22, Deutschland 158, Slowenien 14. In Österreich gibt es derzeit nur drei. Man muss wissen: Selbst wenn man Wölfe schießen dürfte, werden immer wieder welche nachkommen.
Inwiefern mach der Wolf aus Ihrer Sicht den Naturraum reicher?
Wölfe sind die Gesundheitspolizei des Waldes, regulieren den Wildbestand und liefern damit einen Beitrag zum Schutz des Waldes. Sie reißen bevorzugt schwache und kranke Wildtiere. Die hinterlassenen Beutereste liefern anderen Tieren Nahrung.
Wie beurteilen Sie die Situation in Vorarlberg? Wir blieben ja lange Zeit von Nutztierrissen durch Wölfe verschont.
Ich denke, dass sich Vorarlberg bestmöglichst auf mehr Wölfe einstellen sollte. Mit dem Schwerpunkt auf Ausbau der Herdenschutzmaßnahmen und nicht auf Abschüsse. Die Herdenschutzmaßnahmen müssen entsprechend finanziert werden.
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