Geschichte für die Zukunft
Die jüngsten Auseinandersetzungen zur Führung der Eisenbahn im Raum Bregenz sind weder neu noch frei von unterschiedlichen Interessen. Die von verschiedenen Seiten lautstark geforderte Versenkung der Bahn mag attraktiv klingen; neuer Raum für Freizeitaktivitäten und Wohnbau könnte geschaffen und die Kapazität für den Personen- und Güterverkehr erhöht werden. Diese Botschaft verheißt viel und verschweigt noch mehr.
Wer sich mit der Geschichte des Bregenzer Bodenseeufers beschäftigt, kommt jedenfalls zu einem vorsichtigeren Befund. Es war die Eisenbahnführung und nichts anderes, die uns das Ufer seit 1872 freigehalten hat. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde nämlich der Bodensee an den vielen damals noch zugänglichen Grundstücken zu einem Objekt der Begierde, das heißt der Spekulation. Villen für die Sommerfrische oder für ganzjährig an den Bodensee ziehende Privatiers sprossen rund um den See und vor allem am See wie Pilze aus dem feuchten Boden. Die Uferlandschaft westwärts von Lindau legt ein beredtes Zeugnis dieser irreversiblen Entwicklung ab. In Bregenz aber haben die Eisenbahntrasse und das Kloster Mehrerau das Bodenseeufer von der Leiblach- bis zur Achmündung baufrei gehalten. Auch an Grundstücken von der Bregenzer Klause bis ins Stadtgebiet gab es schon früh Interesse. Dies blieb aber auf wenige Villen beschränkt, da nur hinter Bahn und Straße gebaut werden konnte und somit eine direkte Anstoßung an den See diskussionslos unmöglich war. Alle Berichte, wonach weise Vorväter das Vorarlberger Seeufer freigehalten hätten, gehören ins Reich historischer Legenden.
Einsprüche der Rheindeltagemeinden
Während der nationalsozialistischen Zeit war erstmals im Jahr 1942 ein Uferstreifen von 500 Meter Breite unter Schutz gestellt worden. Die Beibehaltung dieser Verordnung führte ab 1948 zu Einsprüchen vor allem durch Hard und die Rheindeltagemeinden. Der Bregenzer Bezirkshauptmann Dr. Anton Allgeuer erkannte aber die Bedeutung eines freien und geschützten Bodenseeufers und ließ die Verordnung neuerlich in Kraft setzen. Als in den 1950er-Jahren eine Reihe von Ansuchen für den Bau von Badehütten, Campingplätzen, Fischerhütten und Kiesgruben eingingen, beschloss die Vorarlberger Landesregierung 1957, keine Ausnahmebewilligungen im Rheindelta zu erteilen. Zu Beginn der 1960er-Jahre wies der Verfassungsgerichtshof die Klagen jener Grundbesitzer ab, die dadurch ihr Eigentumsrecht beeinträchtigt sahen. Heute schützt der § 24 des „Landesgesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung“ den öffentlichen Seezugang. Allgeuer wurde in seinen Bemühungen um ein freies Bodenseeufer von den Vorarlberger Nachrichten unterstützt und 1978 mit dem Toni-Russ-Preis ausgezeichnet. Wenn nicht die Bahntrasse den Uferbereich unbebaubar gemacht hätte, wären diese gesetzlichen Maßnahmen zu spät gekommen. Heute ist das freie Ufer eine unschätzbare Errungenschaft für die breite Bevölkerung, ein demokratisches Freiland.
Die Eisenbahn als Barriere
Die Verlegung der Bahn unter die Erde würde die Baubegierden neuerlich wecken, die Gebäudegrenzen weiter an den See schieben für Wohnungen, die sich in Zukunft wie damals nur wohlhabende Menschen aus einem größeren Einzugsgebiet leisten könnten. Nur die Eisenbahn hat Bregenz das freie Seeufer beschert und sie wird auch in Zukunft die einzige Barriere vor dem fremden Zugriff darstellen. Und sie ist ein sicherer Schutz als Beteuerungen von Politikern. Erfahrungen aus der Geschichte sollten auch für Planungen in die Zukunft Berücksichtigung finden. Die Ereignisse um das Hotel am Kaiserstrand wären ein anschauliches Lehrbeispiel.
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