Die Haarspange
Was so eine Haarspange anrichten kann! Sie ist aus Horn, braun und gelb gesprenkelt, ein Leopard. Sie gehörte meiner Frau, und als sie verschwunden war, fand ich diese Spange in einer Bettritze. Sie wurde zu meinem Gespenst. Ich muss dazu sagen, meine Frau verschwand ohne einen mir bekannten Anlass. Sie verschwand vom Nachtbett hinein in den Morgen und kam nie mehr zurück. Acht Jahre ist es her. Wir haben zum Glück keine Kinder, obwohl, hätten wir Kinder, sie hätten mich getröstet, und es ist nicht anzunehmen, dass eines davon mit ihr verschwunden wäre. Ich habe in Trauer gelebt, so als wäre sie gestorben. Ihr Grab liegt auf unserer rechten Ehebetthälfte. Sie verstehen, dass ich hier nicht mehr schlafen kann. Ich betrete das Schlafzimmer nur mehr für Grabbesuche, lege Blumen nieder und bete in meinen Worten. Manchmal geraten mir aber die Worte so böse und zynisch, dass sie ein Gebet an den Teufel sind. Ich bin religiös, und das macht es mir besonders schwer, kann ich doch niemals verstehen, dass der liebe Gott mir so etwas hatte antun können. Trotzdem schwöre ich nicht ab. Ich hoffe. Mein einziger Bruder hat mir geraten, eine neue Frau zu suchen. Ich sage ihm, ich kann ja nicht wissen, ob sie noch lebt. Ich bin kein Betrüger. Gewiss, ich war bei der Polizei, habe ihr Verschwinden gemeldet. Ich musste ein Bild von meiner Frau dalassen. Der Beamte sah es sich genau an und grinste, sagte, sind sie sicher, dass sie nicht mit einem anderen Mann davon ist, ich meine, wenn ich sie mir so ansehe, reizend, eine besonders anziehende Frau. Ich war gekränkt. Das war sie, eine besondere Frau. Ich weiß, sie war mir treu, und mein Bruder sagt mir, wie kannst du das wissen, du warst ja nicht an ihr festgeklebt. Sie hatte viel Zeit, wenn du durch den Wald gegangen bist …
Ich habe Ihnen noch nicht erzählt, dass ich von Beruf Waldaufseher bin, eine wunderbare Tätigkeit. Die Bäume sind meine Freunde, und stirbt einer ab, gebe ich ihm eine Gedenkminute.
„Was redest du da“, sagte ich zu meinem Bruder, „du hast sie ja kaum gekannt.“
Und da sagte mein Bruder dieses kleine Wort „eben“, und ich sagte zu ihm in fürchterlichem Zorn: „Erklär mir dieses kleine Wort!“
Da wiederholte mein Bruder „eben“, und er geht. Ich bin allein mit meiner Verzweiflung. Er weiß etwas, was ich nicht weiß. Ich halte die Haarspange in meiner Faust, ich drücke sie und spüre, wie ich sie kaputtgemacht habe. Zerdrückt. Ich habe keine Kraft, die Splitter aufzukehren. Ich gehe durch den Wald, der jetzt meine einzige Freude ist – mit meinem Bruder habe ich gebrochen – und fühle mich so allein, so unendlich allein.
„Ich bin religiös, und das macht es mir besonders schwer, kann ich doch niemals verstehen, dass der liebe Gott mir so etwas hatte antun können.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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