Bregenz – das neue Bayreuth?

Vorarlberg / 01.08.2022 • 20:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Die deutsche Sopranistin Ricarda Merbeth als Brünnhilde und der österreichische Heldentenor Andreas Schager als Siegfried. <span class="copyright">Bregenzer Festspiele/Dietmar Mathis </span>
Die deutsche Sopranistin Ricarda Merbeth als Brünnhilde und der österreichische Heldentenor Andreas Schager als Siegfried. Bregenzer Festspiele/Dietmar Mathis

In der Festspiel-Matinee glänzten Stars vom Grünen Hügel mit den Symphonikern um die Wette.

BREGENZ Auch wenn Intendantin Elisabeth Sobotka verlauten hat lassen: „Den ganzen Ring wird es bei mir sicher nicht geben!“, so scheint Bregenz doch zumindest für Ausschnitte dieses genialen Gesamtkunstwerks ein durchaus fruchtbarer Boden zu sein, Tendenz steigend. Am Sonntag geriet Wagner hier bereits zum dritten Mal zum triumphalen Erfolg, diesmal mit dem dritten Aufzug von „Siegfried“ und vor allem für eine vokale Luxus-Besetzung von Bayreuth-erprobten Starsängerinnen und -sängern. Aber auch das glänzend auf Wagner eingeschworene Orchester der Wiener Symphoniker konnte sich dabei selbstbewusst behaupten. Schließlich war mit der jungen Amerikanerin Karina Canellakis eine Dirigentin am Werk, die Wagner leidenschaftlich liebt. Ein elementares Ereignis vor ausverkauftem Haus mit minutenlangen Jubelstürmen einer offenbar stark zunehmenden Zahl von Wagnerianern.  

„Siegfried“, der dritte Teil der Ring-Tetralogie, durchzieht so etwas wie frühlingshelle Zuversicht, und die neue Welt, die mit der Titelfigur aufbricht, verheißt in leuchtenden Farben eitel Liebe und Wonne. Für die Begegnung zwischen Siegfried und Brünnhilde hat Wagner das mit 30 Minuten vermutlich längste Liebesduett der Musikgeschichte geschaffen: „Leuchtende Liebe, lachender Tod!“ Aus einem vorsichtigen Tasten ranken sich die beiden Stimmen aneinander empor, verschmelzen zu einem Zwiegesang, wie es in dieser Größe, diesen stimmlichen Anforderungen an Kraft und Ausdauer kaum Vergleichbares gibt. In einer Apotheose können auch die Wiener Symphoniker, für die Wagner ungewohntes Terrain und ein Abenteuer bedeutet, in einer Riesenbesetzung mit Wagner-Tuben, drei Harfen und einem Wald von Streichern auf ihre bewährte Opulenz und Klangkultur pochen. Schöner, aber auch lauter wird man Wagner schwerlich finden.  

Das Beste

Bregenz hat für die Sängerbesetzung wohl das Beste aus der Elite von Wagner-Größen aufgeboten, lässt sie ohne Kostüme, in Anzug und Abendrobe rund um das Orchester in freier Spielweise agieren. Da sie als echte Opernsänger an keine Noten gebunden sind, ergeben sich daraus sogar kleine Spielszenen. Dem österreichischen Heldentenor Andreas Schager glaubt man seinen Siegfried, Wagners kraftstrotzenden Draufgänger, der „das Fürchten nie gelernt hat“, aufs Wort. In Bregenz bewältigt er diese übermenschliche Mörderpartie im Weltformat, ein Naturereignis mit der Klarheit eines Gebirgsbaches im Sprachlichen wie Stimmlichen, mit fein gezeichneten psychologischen Zwischentönen und strahlenden Spitzen.

Ihm zur Seite die Sopranistin Ricarda Merbeth als kultivierte Brünnhilde, die fast bis zur Selbstaufgabe singt und spielt und dabei ihre Figur bis zur Hingabe entwickelt. Eine kontroverse Episode am Beginn mit Urmutter Erda, dem großartig gurrenden Mezzo von Nadine Weissmann, und dem Wanderer, dem schön geführten, etwas schwer verständlichen Bassbariton Greer Grimsley, führt die Zuhörer rasch in die Welt des „Ring“-Zaubers ein.

Elektrisiert

In ihrer schlanken Wendigkeit lässt Karina Canellakis am Pult nie einen Zweifel daran, wer bei Wagner Herr im Haus ist. Sie hat zuvor freilich noch Beethovens „Leonoren“-Ouvertüre Nr. 3 zu stemmen, die man ihr als eine Art Vorspiel zu Wagner auferlegt hat, obwohl die beiden Werke stilistisch meilenweit auseinanderliegen. Die junge Dame mit dem blonden Rossschwanz macht aus der Not ein Exempel, wirkt wie elektrisiert und generiert so einen Zündfunken, einen Aufwecker am Sonntagmorgen, den man nachträglich betrachtet nicht hätte missen mögen. JU

Drittes Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker: 8. August, 19.30 Uhr, Festspielhaus – Dirigentin: Marie Jacquot, Solist: Kian Soltani, Violoncello (Tschaikowsky, Schostakowitsch, Rimski-Korsakow)