Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

„Normale Leute“ drohen nicht

Vorarlberg / 02.08.2022 • 07:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Der Tod von Lisa-Maria Kellermayr vergangenen Freitag hat viele erschüttert. Die engagierte Allgemeinmedizinerin aus Oberösterreich, die von anonymen Verfolgern in den Suizid getrieben wurde, war eine Ärztin, wie man sie sich nur wünschen kann: Eine, die für andere Menschen da war, gerade in der Pandemie; eine, die in der Öffentlichkeit mutig und dem hippokratischen Eid verpflichtet agierte, auch wenn sie sich damit zur Zielscheibe radikaler Impfgegner und rechtsextremer Gruppen machte. Nach zermürbenden Monaten digitaler Attacken und Morddrohungen kam sie wohl ans Ende ihrer Kräfte. Ein paar Gedanken, die man aus der traurigen Geschichte von Lisa-Maria Kellermayr mitnehmen sollte.

Die Rolle – oder besser: die nicht ausgefüllte Rolle – der Behörden und Institutionen rund um ihren Fall muss aufgearbeitet werden. Es wird leider nicht der Fall der letzten Expertin, des letzten Arztes sein, die man vor Radikalen schützen muss – und eben nicht mit dem Problem allein lassen darf. Das 2021 in Kraft getretene Kommunikationsplattform-Gesetz ist als Teil eines Maßnahmenpakets gegen Hass im Netz ein Anfang, dem weitere Schritte folgen müssen. Der Digital Services Act der EU will künftig auch verstärkt gegen Hass auf den großen Plattformen vorgehen. Gegen Lisa-Maria Kellermayr wurde etwa in einschlägigen Telegram-Gruppen gehetzt.

Wir alle tragen Verantwortung für den Ton, der in der Öffentlichkeit herrscht.

Wir müssen uns bewusst sein, dass es sich bei Drohungen im Netz nicht um harmloses (meist anonymes) Geschreibsel handelt, sondern um gefährliche Drohungen, die Menschen an den Rand bringen können. Auch wenn es natürlich legitime Kritik an der Corona-Politik gibt, muss man diese klar von den Anwürfen radikaler Gruppen und Extremisten trennen, die Menschen bedrohen – das sind keine „normalen Leute“, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausleben.

Nicht nur professionelle Medien, sondern all jene, die auf Social-Media-Plattformen kommunizieren, sollten achtsamer mit dem anderen umgehen, dem sie nicht ins Gesicht sehen können, der vielleicht eine andere Meinung vertritt. Wir alle tragen Verantwortung für den Ton, der in dieser Öffentlichkeit herrscht. Sprache ist eine Macht, auch im Netz. Und gerade beim Thema Suizid müssen wir besonders behutsam mit unserer Sprache umgehen. Trotz aller Emotionalität ist es notwendig, mit dem Blick auf jene zu agieren, die durch unbedachte Schilderungen oder Details getriggert werden und damit selbst in Gefahr kommen könnten. Es gibt Hilfe und Hoffnung für Menschen in seelischer Not – darüber sollten wir mehr sprechen.

Hilfe in Krisen: Telefonseelsorge: 142 (Notruf), Sozialpsychiatrischer Dienst von aks Gesundheit und pro mente Vorarlberg: www.spdi.at

Julia Ortner

julia.ortner@vn.at

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.