Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Das Feuer

Vorarlberg / 09.08.2022 • 17:46 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Ein altes Ehepaar lebte in Einigkeit und Ruhe in einem Haus. Sie besaßen, was sie brauchten. Keine Wünsche blieben offen. Der Mann war Professor im Ruhestand wie seine Frau, eine Übersetzerin. Ihre vier Mädchen waren längst ausgezogen. Sie konnten sich an keinen Streit ihrer Eltern erinnern. Die alte Frau rauchte seit ihrem siebzehnten Lebensjahr Kette, ihr Mann nur nach dem Essen. Er wünschte sich innerlich, seine Frau möge aufhören, aber sie schaffte es nicht. Einmal hatte er schüchtern gefragt, ob es eine Überlegung wert wäre, von den Zigaretten zu lassen, wegen der Gesundheit, gleichzeitig wusste er, dass sie es nicht konnte. So ließ er es eben.

Selten war der Professor außer Haus, seine Frau liebte es, zu nähen, obwohl sie es nicht besonders gut konnte. Ihr gefiel, wenn die Stoffe bei jedem Stich über ihre Knie rutschten. Sie nähte nur von Hand, mit der rechten. In der linken hielt sie ihre Zigarette. Ihr Nähzimmer war zugenebelt, denn sie hatte es nicht gern, wenn das Fenster offenstand.

An dem unglücklichen Tag saß sie wieder nähend und rauchend in ihrem Zimmer, da hörte sie das Telefon läuten. Die Schranktür stand offen, und sie stopfte den Stoff hinein und lief die Treppen hinunter. Es war ihr Mann, der mitteilte, er käme heute etwas später, er habe einen Freund getroffen. Als die Frau in ihr Nähzimmer zurückkam, sah sie, dass es aus dem Schrank rauchte, sie hatte aus Versehen ihre Zigarette mit dem Stoff in den Schrank gestopft. Sie holte den Bettvorleger und warf ihn in das Feuer, aber da brannte es nur umso mehr, weil wahrscheinlich Synthetik dabei war. Sie rief die Feuerwehr und wartete am Fenster. Lange kam sie nicht, so dass sie ein zweites Mal telefonierte. Im Nähzimmer brannte es lichterloh. Vor der Feuerwehr kam die Polizei, die den Rauch gemeldet bekommen hatte. Gleichzeitig fuhr das Taxi mit ihrem Mann vor.

Er wusste es sofort. Seine Frau saß zitternd vor den Stufen des Hauses. Der Mann nahm sie an seine Schulter und gemeinsam schauten sie auf den brennenden Dachstuhl. Er mahnte nicht, er weinte ein wenig.

„Bitte sag es!“, flehte seine Frau. „Sag es, damit ich mich nicht so schuldig fühlen muss!“

Der Professor mahnte nicht.

Sie hörte mit dem Rauchen auf, aber ihr Mann wusste, dass sie wie ein Schulmädchen in die Waschküche ging, um eben doch zu rauchen.

Ihre vier Mädchen trafen sich zum Tee und konnten sich nicht darüber einigen, ob das Schweigen des Vaters edelmütig war oder eine Strafe.

„Was ist mit ihrem Schmuck?“, fragte die Jüngste.

„Ich wette, den hat sie ins Feuer geworfen, um Sühne zu tun“, sagte die Zweite:

Die Dritte: „Auch den Rubin?“

Die Vierte: „Da gibt es nichts mehr, was glänzt.“

„‚Bitte sag es!‘, flehte seine Frau. ‚Sag es, damit ich mich nicht so schuldig fühlen muss!‘“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.