Spitalsärzte beklagen dramatisches Personalbild

Es fehlt an Pflegepersonal und Fachärzten. Sie brauchen einander. KHBG/Mathis
Ärztevertreter widersprechen KHBG-Darstellung von nicht existentem Medizinermangel.
Dornbirn Die Theorie liest sich gut. Dieser zufolge liegt Österreich mit seiner Ärztedichte sogar im europäischen Spitzenfeld.
„Statistiken und Exceltabellen sind geduldig“, halten Claudia Riedlinger, Spitalsärztevertreterin in der Ärztekammer, und Ärztekammervizepräsident Hermann Blaßnig vehement dagegen und bezeichnen die Aussagen der Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG), wonach es in Vorarlberg keinen Ärztemangel gibt, als theoretisches Ideal. Aus der Praxis des Spitalsalltags und nicht vom Schreibtisch aus betrachtet, zeige sich nämlich ein dramatisch anderes Bild. „Es gibt ganz klar einen Ärztemangel im Land, und er wird sich weiter verschärfen“, sind sich die Mediziner in ihrer Einschätzung einig. Es bestehe Handlungsbedarf. Dem will die Ärztekammer jetzt offenbar Rechnung tragen und arbeitet an neuen Lösungen bzw. Vorschlägen. Der Aktionsplan soll im Herbst vorgestellt werden.
Längere Sommerreduktionen
Wer im Gesundheitsdienst arbeitet, ist seit mehr als zwei Jahren extrem gefordert. Corona hat Ärztinnen und Ärzten enorme Leistungen abverlangt, die Erwartungshaltung der Patienten steigt, zugleich fehlt es an Pflegepersonal und Ärzten, wie ein Blick in die heimischen Krankenhäuser zeigt. So waren etwa bis zu drei Operationssäle im LKH Feldkirch im Laufe des Sommers nicht in Betrieb, einige Stationen sind geschlossen, und die Geburtshilfe im LKH Bludenz wurde kurzzeitig sogar zugesperrt. „Während der Urlaubszeit musste früher schon vorübergehend in manchen Bereichen reduziert werden. Heute sind diese sogenannten Sommerreduktionen in den OP-Sälen aber deutlich länger als in den vergangenen Jahren“, sagt Hermann Blaßnig, Oberarzt am Stadtspital Dornbirn.
Insgesamt spricht er von extrem vielen und intensiven Diensten, die den vollen Einsatz und höchste Flexibilität von allen fordern. Ein Dienstplan ohne Berücksichtigung von Überstunden gehe sich derzeit kaum noch aus. Auswirkungen zeigt auch der Mangel an Pflegepersonal. „Fehlt die Pflege, können die Ärzte nicht eingesetzt werden. Umgekehrt: Hätten wir mehr Pflegepersonal, würden die Ärzte fehlen. Der Pflegemangel verdeckt daher den Ärztemangel“, resümiert Blaßnig. Verschärft wird die Situation durch den Umstand, dass über 200 Betten in Pflegeheimen nicht belegt werden können, weil dort ebenfalls Personal fehlt. „Viele alte Menschen bleiben deshalb in den Akutbetten der Spitäler“, erzählt Claudia Riedlinger, Oberärztin am LKH Bregenz. Kurzfristig könne das funktionieren, aber nicht auf Dauer.

15 Jahre bis zur Eigenverantwortung
Doch es gelingt kaum, freie Dienstposten rechtzeitig zu besetzen. Stellt sich also die Frage, wie eingangs erwähnte Statistik, die als Mythos und gezielte Desinformation bezeichnet wird, zustandekommt. Die Erklärung: „Im Gegensatz zu anderen Ländern werden in Österreich alle Ärzte auf der Ärzteliste für die Statistik erfasst, egal, wie sie ausgebildet sind und eingesetzt werden können, ob sie in Karenz oder nur Teilzeit beschäftigt sind.“ In der Patientenversorgung gehe es jedoch nicht um die Zahl der Köpfe, sondern um Ausbildung, Erfahrung und Expertise. Rund 15 Jahre dauert es, bis ein Arzt eigenverantwortlich eingesetzt werden kann. In Vorarlberg befindet sich laut Hermann Blaßnig die Hälfte der Ärzte erst in Ausbildung. Außerdem könnten erfahrene Ärzte nicht einfach durch Jungärzte ersetzt werden, schon gar nicht 1:1. Vielmehr werde man zwei bis drei für den Ersatz eines erfahrenen Mediziners brauchen.
Gleichzeitig spielt mit, dass sich die Arbeitswelt auch in der Medizin geändert hat. Riedlinger nennt als Beispiel vermehrte Teilzeitbeschäftigungen, einen Frauenanteil über 50 Prozent, Elternkarenzen und Work-Life-Balance als Beispiele.