Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Wir lassen uns nicht aufhetzen

Vorarlberg / 15.08.2022 • 19:09 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

34 Jahre nachdem der damalige iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini den Autor Salman Rushdie wegen seines Werks „Die satanischen Verse“ per Fatwa zum Tod verurteilte, sticht ein junger Mann aus New Jersey bei einer Veranstaltung im Westen New Yorks zehn Mal auf den 75-jährigen Literaten ein. Die Familie des mutmaßlichen Angreifers soll aus dem Libanon kommen, der 24-Jährige erklärt sich am Samstag vor einem New Yorker Gericht für „nicht schuldig“. Die Behörden sprechen – noch – nicht über sein Motiv. Regierungsnahe iranische Medien bejubeln den Anschlag, Khomeini hatte Rushdie 1988 vorgeworfen, in seinem Roman den Islam, den Propheten und den Koran beleidigt zu haben. Fundamentalismus kennt keine Freiheit der Kunst, keine Differenzierungen und natürlich keine Ironie.

Mit dem Todesurteil gegen Rush­die begann vor mehr als 30 Jahren eine Debatte über islamischen Fundamentalismus, die sich seit den 9/11-Anschlägen mit jedem weiteren Terrorakt intensiviert hat. In Wien verübte ein junger Terrorist am 2. November 2020 einen dschihadistischen Anschlag, er tötete vier Menschen und verletzte etliche weitere. Im Herbst müssen sich nun insgesamt sechs Beschuldigte vor Gericht wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an diesem Verbrechen verantworten.

Wie wir mit dem Terror umgehen, entscheidet darüber, welchen Einfluss die Terroristen auf unser Leben haben. Die Islamisten verfolgen bei ihrem grausamen Tun denselben Plan wie rechtsextreme Attentäter, das stellt die renommierte Extremismus-Forscherin Julia Ebner in ihren Büchern dar: Sie schüren Angst und Hass, wollen Racheakte ihrer Opfer provozieren, einen Bürgerkrieg entfachen und danach eine neue Ordnung schaffen.

Terror sei immer auch Theater, sagt Ebner – es gehe darum, mit einer möglichst groß angelegten Inszenierung Aufmerksamkeit zu generieren und tiefe Emotionen zu erzeugen.

Und gerade deshalb ist es wichtig, dass es nach einem Anschlag nicht zu Überreaktionen von Politik und Bevölkerung kommt – also keine überschießenden Gesetze, kein antimuslimischer Hass. Den Anschlag in Wien hat Österreich auf diese Art bewältigt: Wir lassen uns nicht aufhetzen. Trotz des großen Schocks und des Leids für die Betroffenen wurde das Land nicht destabilisiert, der gefährliche Kern der Islamistenszene hat keinen Einfluss auf die Mitte der Gesellschaft.

Wenn Terror das Schlimmste in Menschen hervorrufen soll, kommt diese niederträchtige Idee auch bei Betroffenen wie Salman Rushdie an ihre Grenzen. Er soll nach den schweren Verletzungen auf dem Weg der Besserung sein, berichtet sein Sohn – und Rushdies „kämpferischer und aufsässiger Sinn für Humor“ bleibe intakt. Trotz allem.

„Wie wir mit dem Terror umgehen, entscheidet darüber, welchen Einfluss die Terroristen auf unser Leben haben.“

Julia Ortner

julia.ortner@vn.at

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.