Dorle und ihre Liebe zu Günther und zur Arbeit

Dorle Hübler (66) wuchs bei Zieheltern auf. Bei diesen musste sie hart arbeiten.
Tschagguns Als Kind durchlief Dorle Hübler (66) eine harte Schule. „Diese bereitete mich gut aufs Leben vor.“ Dorle und ihr Zwillingsbruder Hermann wurden von ihrer ledigen Mutter im Alter von drei Jahren weggegeben. Ein Landwirte-Ehepaar in der Oststeiermark nahm die Kleinkinder, die in Graz geboren worden waren, auf. Auf dem Hof mit den vielen Kühen und Schweinen wurde jede Hand gebraucht. „Mein Bruder und ich durften nicht spielen. Wir mussten arbeiten.“ Mit jedem Jahr wurden die Zwillinge mehr eingespannt. „Unter anderem musste ich putzen, kochen und Heu aufladen“, erinnert sich Dorle. Weil sie fleißig war, galt sie bei den Zieheltern viel. „Meine Ziehmutter sagte oft zu mir: ,Du wirst dir nicht schwertun, wenn du irgendwohin kommst.‘ Und so war es dann auch.“
Ohrfeige fürs Puppenwickeln
Dorle mochte ihre Zieheltern. „Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir je gekuschelt hätten.“ Auch die Puppe und die Puppenküche, die sie sich wünschte, bekam sie nie. Stattdessen brachte das Christkind lange Unterhosen. „Einmal habe ich das Baby meiner Ziehschwester heimlich gewickelt. Dafür setzte es eine Ohrfeige.“
Dorle, die von klein an ans Arbeiten gewöhnt war, fiel der Eintritt in die Berufswelt leicht. Die kaufmännische Lehre, die sie in einem Gemischtwarenladen absolvierte, bewältigte sie mühelos. „In der Zimmerstunde kümmerte ich mich noch zusätzlich um die gehandicapte Tochter meines Chefs.“
Mit 21 Jahren verschlug es die Steirerin nach Vorarlberg. „Ich besuchte meine Schulfreundin Maria, die in einem Hotel in Gortipohl arbeitete. Sie fragte mich, ob ich nicht bleiben wolle. In der Küche sei eine Stelle frei.“ Die junge Steirerin blieb und baute sich hier ein Leben auf. „Ich habe von null angefangen.“ Zunächst arbeitete sie drei Jahre lang als Küchenhilfe. In dieser Zeit bildete sie sich weiter. „Ich habe an einem Servierkurs teilgenommen und dann im Hotel zwei Jahre lang im Service gearbeitet.“
In Sachen Beruf war das Glück auf ihrer Seite. Aber Dorle war auch sehr tüchtig. Deshalb brachte sie es weit. „31 Jahre lang habe ich bei den Illwerken in der Kantine geschafft, unter anderem als Kellnerin. Der Job hat mir gefallen. Ich habe immer gerne gearbeitet. Bedienen ist für mich ein Hobby.“ Darum half sie andernorts auch noch gerne aus, zum Beispiel auf Zeltfesten und in diversen Gasthäusern. Dorle verstand es mit den Menschen. „Ich habe einen hohen Umsatz gemacht und immer viel Trinkgeld bekommen.“
Auch in der Liebe hatte sie Glück. Mit 40 begegnete sie Günther, einem HNO-Arzt. „Eine Fischgräte steckte in meinem Hals. Günther hat sie mir entfernt. Aus Dankbarkeit habe ich ihn umarmt und ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt“, erzählt sie, wie diese große Liebe begann. Dem Paar waren 20 gemeinsame Jahre vergönnt. „Wir hatten es nur schön.“ Im Jahr 2016 – acht Jahre nach der Diagnose – starb ihr Lebensgefährte an Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Nach der niederschmetternden Diagnose machte Günther eine Liste mit Dingen, die er noch tun wollte.“ Das Paar schipperte mit einem Segelboot von Insel zu Insel. „Auch gewisse Berge wollte Günther noch besteigen. Den Hohen Fraßen machte er noch, da war er schon auf 50 Kilo abgemagert.“ Der Arzt nahm sein Schicksal in Größe an. „Vor seinem Tod sagte er zu mir: ,Man muss alles im Leben annehmen und die Wirklichkeit akzeptieren, wie sie ist.“
Positive Einstellung zum Leben
Nach seinem Tod fühlte Dorle eine große Leere in sich. Jetzt waren alle Menschen tot, die sie geliebt hatte: ihre Zieheltern, ihr Zwillingsbruder, ihre Schwägerin und ihr Lebensgefährte. Ihre positive Einstellung zum Leben bewahrte sie davor, in ein Loch zu fallen. Die Lebensfreude kam rasch wieder zurück. Bald hatte sie wieder Spaß am Wandern, Skifahren, Radfahren und Musikhören. Heute kann die Wahl-Tschaggunserin mit Fug und Recht behaupten: „Ich bin zufrieden und glücklich.“ Dorle ist dankbar, dass sie gesund ist und 20 schöne Jahre mit Günther hatte. „Das wird mich ewig trösten.“


