In Fels und Eis wird es ungemütlicher

Vorarlberg / 22.08.2022 • 20:59 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bergtouren sind besondere Erlebnisse, aber es heißt inzwischen mehr denn je aufpassen.oliver ihring
Bergtouren sind besondere Erlebnisse, aber es heißt inzwischen mehr denn je aufpassen.oliver ihring

Das sich wandelnde Klima macht auch vor den Bergen nicht halt.

Nüziders Ein riesiger Gletscherbruch in der Marmolata in Süd­tirol. Massiver Steinschlag am Mont Blanc in Frankreich. Der eine Berg schon länger gesperrt, beim anderen wird dringend von einer Besteigung abgeraten. Selbst Bergführer wagen sich nicht mehr hinauf. Die Klimaerwärmung macht die steinernen Riesen zunehmend instabil. Diese Entwicklung ist überall zu beobachten, auch in Vorarlberg. Mit acht Jahren stand Wolfgang Bartl zum ersten Mal auf dem Piz Buin. Heute ist er 58 und hat den höchsten Berg des Landes bereits über fünf verschiedene Zustiege begangen. Nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sich die Gegebenheiten zum Teil drastisch veränderten.

Ständiger Steinregen

Inzwischen vollzieht sich der Wandel selbst in alpinen Regionen immer rasanter. Es wird ungemütlicher in Fels und Eis, so noch welches vorhanden ist. „Jeder, der in die Berge geht, muss sich bewusst sein, dass die Klimaveränderung auch dort oben ihre Spuren hinterlässt“, sagt der Alpinreferent des Alpenvereins. Bartl schätzt, dass es bald immer mehr technische Hilfsmittel wie Stahlseile, Brücken oder Trittsteine bzw. Wegverlegungen braucht, um einen Berg zu erreichen. Er vermutet zudem, dass sich die Bergsaison verschieben wird, man gewisse Berge nur noch im Frühjahr, wenn noch Schnee auf den Felsen liegt, besteigen kann statt im Hochsommer, in dem die klassischen Bergsteigermonate liegen. Mitunter sei aber Verzicht der beste Weg.

Wolfgang Bartl macht die besorgniserregende Entwicklung am Beispiel der Buinlücke fest. Früher wurde dort gern Rast gemacht, bevor es an den Gipfelsturm ging. Jetzt ist ein Verweilen an diesem Platz hochriskant. Der Grund: Vom kleinen Piz Buin donnert ein ständiger Steinregen herab und macht die Besteigung seines großen Nachbarn insgesamt zu einem gefährlichen Unterfangen. Schon lange Geschichte ist das Wiesbadener Grätle, das einst ebenfalls auf den Piz Buin führte. Das brüchige Gestein machte bereits vor vielen Jahren eine Sperre notwendig. Bergsteiger, die es dennoch probierten, bezahlten mit dem Leben. Doch es rumort überall. Wolfgang Bartl berichtet von einer Besteigung des Doms, eines Viertausenders in den Walliser Alpen, die er unlängst gemeinsam mit Bergrettern durchgeführt hat. Dreimal musste sich die Gruppe vor Steinschlägen in Sicherheit bringen. Sein Fazit: „Gewisse Touren werden als Gemeinschaftstouren nicht mehr möglich sein.“

Eis- und Felsschlag

Das Risiko von Eis- und Felsschlag wächst, ebenso die Absturzgefahr auf Graten und an Randklüften. Die Hitze lässt Gletscher wie Butter in der Sonne schmelzen und Bäche zu reißenden Fluten werden. „Es gibt keine beste Uhrzeit mehr“, verdeutlicht Bartl, wie alles zusammenwirkt. Der Wandel spielt sich aber nicht nur in Hochlagen ab. Betroffen sind auch Wanderwege in Mittellagen. Aufgrund der Trockenheit brechen selbst über Jahrzehnte fest eingewachsene Stützsteine aus dem Erdreich. Der ebenfalls immer öfter auftretende Starkregen bringt Hänge und Wege ins Rutschen. In den Bergen gab es nie eine hundertprozentige Sicherheit. Umso wichtiger war und ist die Eigenverantwortung. „Vor einer Tour sollte sich jeder vor Ort, beim Hüttenwirt, bei Alpinorganisationen oder Bergrettern informieren und nicht irgendwo nur etwas lesen“, betont der Kletterexperte. Inzwischen wird auch schon dazu geraten, einen Helm als Standardausrüstung in den Rucksack zu packen. VN-MM

„Vor einer Tour sollte sich jeder vor Ort informieren und nicht nur einfach etwas lesen.“