Wo ist eigentlich die Strickate?
Letzte Woche habe ich mit einer Freundin videotelefoniert. Wir haben uns auch schon länger nicht in echt gesehen, weil wir den Sommer beide nicht in der Stadt verbringen. Der Bildschirm war geteilt: Rechts saß ich im ärmellosen Sommerkleid in der Abenddämmerung an meiner sonnenwarmem Hauswand, links saß die Freundin im kuscheligen Winterpulli vor einem Kachelofen, während der Regen außen an ihren Fenstern herabströmte. Wir befanden uns keineswegs in verschiedenen Klimazonen: Ich saß im Waldviertel, sie im Ländle. Aber manchmal ist Österreich doch größer als man meint, und, Überraschung, für einmal war das Waldviertel nicht die kälteste Gegend des Landes. Denn für gewöhnlich besteht der Waldviertler Sommer aus den drei oder vier Tagen in Juli und August, an denen man am Abend keine warme Jacke braucht. Heuer waren es, glaube ich, sogar fünf. Fini hat keinen von denen erwischt, als sie letztes Mal ohne Jacke und in Sandalen aus der glühendheißen Stadt zu Besuch kam und von plötzlichem abendlichen Temperatur-Abfall überrascht wurde. Zum Glück ist man hier für solche Fälle immer gerüstet.
Nun ist der Regen im Waldviertel angekommen, jetzt schüttet es auch hier, hoffentlich nicht so vernichtend wie in Vorarlberg. Der Herbst wird spürbar; noch in seiner frischen, verheißungsvollen Version, wenn er noch wunderbare Versprechen in sich trägt: goldene Wärme, raschelnde Spaziergänge im Laubwald, Bergwanderungen mit Freundinnen, Abende unterm Sternenhimmel.
Aber auch schon ein Topf Suppe, die auf dem Holzofen vor sich hin köchelt. Was, das muss ich zugeben, schöner war und besser roch, als hier noch richtig Fleisch gegessen wurde, als es noch jedes Mal Rinds- oder Hühner-Brühe war. Fleisch gibts schon noch, aber nicht mehr viel. Eher nur als Belag aufs Brot, manchmal liegen Würste vom Bauernladen auf dem Grill oder die guten weißen, die es nur im Ländle gibt und die ich mir gerne mitbringen lasse. Gekocht wird jetzt meistens fleischlos, meine vegetarischen Kinder haben mich mittlerweile ganz gut erzogen, man gewöhnt sich daran, mit der Zeit fehlt einem nicht mehr viel.
Ach ja, und wo ist, wenn es so herbstelt, eigentlich die Strickate? Man kriegt schon Lust, an dem Pullover fürs Kind weiterzustricken, den man mit den ersten Frühlingssonnenstrahlen zur Seite legte und fortan ignorierte. Nur das mit dem lodernden Feuer im Ofen wird heuer nicht so ausgiebig zelebriert werden, weil man selbst in dieser dicht bewaldeten Gegend heuer lieber sparsam mit Heizmaterial umgeht. Mein Nachbar-Bauer hat mir zwar versprochen, dass für treue Stammkundinnen wie mich immer Holz da sei; aber sicher ist sicher.
„Nun ist der Regen im Waldviertel angekommen, jetzt schüttet es auch hier, hoffentlich nicht so vernichtend wie in Vorarlberg.“
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
Kommentar