Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Die grüne Turnhose

Vorarlberg / 23.08.2022 • 19:13 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Ein Mädchen erzählt:

„Ja, ich gebe zu, ich war es, die ihr die grüne Turnhose versteckt hat. Erst versteckt, dann mit nach Hause genommen. Ich entschuldige mich nicht, weil nichts Schlechtes an meiner Tat ist. Es ist gar keine Tat, es ist die Liebessehnsucht. Sie müssen mir das nicht erläutern, ich weiß, dass Carmen sich nicht für mich interessiert, sie weiß wahrscheinlich überhaupt nicht, dass ich existiere. Jetzt, da so viel über das Gendern geredet wird. Wir haben in der Deutschstunde über geschlechterbewussten Sprachgebrauch geredet, ich fand das sehr aufschlussreich. In Wahrheit aber interessiert es keinen aus meiner Klasse, so bin ich die Einzige, die daneben ist, wie mir meine Banknachbarin zugeflüstert hat.

Ich liebe Carmen, was soll ich tun. Es kann vorbeigehen. Ich würde mich verkaufen, um sie für mich zu gewinnen.

Dabei steht so viel über Schwule geschrieben, jeder tut so, als wüsste er, wovon er spricht. Ich glaube, dass männliche Homosexualität mehr akzeptiert wird als weibliche.

Gut, ich bin sehr jung, neugierig und unsicher. Würden meine Eltern über mich Bescheid wissen, höre ich sie sagen: Das ist ganz normal in deinem Alter. Meine Mutter würde sagen: Wie viele Mädchen gibt es, die ineinander verliebt sind. All diese Mädchen haben früher oder später einen Freund, und alles läuft in normalen Bahnen. Mein Vater würde sagen: Erst sind es die Pferde, dann die Mädchen und endlich die Männer. Ich werde nichts von mir preisgeben.

Gestern trug Carmen ein gelbes Kleid, und leuchtete wie die Sonne.

Ich kenne keine, die so elegant das Rad schlägt, auf dem Kopf steht und sicher auf dem Schwebebalken stolziert.

Jeder will geliebt werden. Ist es denn nicht egal wen? Ich bin verklemmt, das heißt, wenn Carmen an mir vorbreigeht, schaue ich weg. Einmal hat sie mich gefragt, ob ich Kopfschmerzen habe, wahrscheinlich weil ich so niederschmetternd aussah. Immerhin hat sie mich bemerkt. Ihre Turnhose liegt in der Nacht bei mir. Am Tag verstecke ich sie hinter meinen Lieblingsbüchern.

Carmen hat keinen Freund, das hätte ich herausgefunden. Sie hat Freundinnen, aber wie es so schön heißt, wer viele Freundinnen hat, hat in Wirklichkeit keine. Ich wäre für sie da. Ich werde zum Frisör gehen und die Haare so schneiden wie sie ihre hat. Ich glaube, sie verwendet einen Haarglätter. Bei mir wird ihre Frisur wie meine aussehen. Ich muss etwas an mir haben, das besonders ist. Was ist das Schönste an mir, fragte ich meine Mutter und sie sagte, was alle Mütter sagen: Du hast so schöne Augen, mein Kind.“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.