Die „heiligen“ Wildenten

Vorarlberg / 26.08.2022 • 16:49 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
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Von Sören Kierkegaard stammt die Geschichte, die Saint-Exupéry übernommen hat:

Über einen Hühnerhof mit Hennen, Gänsen und Enten zieht im Herbst eine Kette von Wildenten hinweg. Die Hofenten haben in ihrem Leben nie etwas anderes gesehen als Futtertröge, den Weg zum Dorfweiher und ihre Stallungen. In diesem Moment aber, da sie ihre freilebenden Artgenossen am Himmel erblicken, begibt sich etwas Wunderbares: Sie schlagen mit den Flügeln. Es entstehen in ihren kleine Gehirnen mit einem Mal Visionen von Meeren, Gebirgszügen, Flussläufen, Wäldern, Gefilden, die sie nie zuvor gesehen und doch ersehnt haben, wie sie jetzt spüren. Ihr aufgeregtes Schnattern wird zum Ruf der Sehnsucht. Für ein paar Sekunden lang möchten sie es ihren freien Artgenossen gleichtun.

Dann entschwindet der Schwarm der Wildenten ihren Augen, und sie fallen wieder zurück in ihre Welt mit Futterplätzen, Wasserstellen und ihren gewohnten Ställen.

Wir feiern heute, am 27. August, unseren Diözesanpatron, den Hl. Gebhard. Heilige sind so eine Art Wildenten, d.h., Menschen, die in uns auch Ahnungen oder Vorstellungen wecken. Wenn wir sie sehen, ihre Biografien kennenlernen, spüren wir, was wir sein könnten oder möchten und doch nicht sind. Einige Beispiele im Blick auf den Hl. Gebhard:

Es muss kein Kloster sein

Gebhard wurde 949 als Sohn des Grafen Ulrich in Bregenz geboren. Nach dem Besuch der Domschule in Konstanz wurde er später Bischof dieser Diözese. Bald einmal gründete er das Kloster Petershausen. Etwas Ähnliches wird uns nicht gelingen. Aber vielleicht würde der Hl. Gebhard uns heute sagen: „Flattre nicht aufgeregt mit den Flügeln wie die Enten, wenn dir keine große Leistung gelingt und du nicht zu den Berühmten gehörst, weil manches im Leben nicht so gelaufen ist, wie du es gerne gehabt hättest. Es ist schon sehr viel, wenn du in Treue, Geduld und Tapferkeit deinen Alltag bewältigst. Dein Leben ist wertvoll, wenn du da und dort eine Spur der Liebe hinterlässt und andere dankbar sind, dass es dich gibt!“

Ich denke oft, es ist gewaltig, was z.B. alleinerziehende Mütter alles leisten oder Menschen, die aufopferungsvoll Angehörige pflegen. Wenn manchmal Menschen für irgendetwas groß geehrt werden, frage ich mich: Und wer wertschätzt, was Eltern und Großeltern, oft unbedankt, für die Kinder tun? Es gäbe noch viele Beispiele von „stillen Heiligen“, die nicht im Scheinwerferlicht stehen und Tag für Tag liebevoll ihre Aufgaben erfüllen, oft Jahrzehnte lang und ohne Ehrenurkunde…

Die soziale Ader

Gebhard setzte sich für die Armen und Kranken ein. Die Klosterlandwirtschaft diente auch diesem Zweck. Heutzutage reagieren viele schon allergisch, wenn Spendenaufrufe ein „Dauerbrenner“ der Kirche, vor allem der Caritas sind. Ich stelle mir vor, dass Gebhard uns sagen würde: „Flattere nicht wie die Hofenten und rege dich nicht auf, wenn es darum geht, Menschen in einer Notlage oder den von irgendwelchen Katastrophen und Armut Betroffenen zu helfen. Lass dich berühren von deren Schicksal. Denke dich in sie hinein!“ Warum sind manche Jugendliche so aggressiv? Vielleicht haben sie eine Wut auf die ungerechte Lebenssituation, auf die Wohlstandsgesellschaft, zu der sie nicht gehören. Jedenfalls schaffen Ungerechtigkeiten immer auch Unfrieden. Wir werden nicht verhindern, dass Menschen vereinsamen, aber wir können jemanden besuchen. Es liegt nicht in unserer Hand, existenzielle Not zu verhindern, aber wir können jemandem etwas Gutes zukommen lassen.

Gegen die Trends unserer Zeit

Gebhard holte Mönche von Einsiedeln nach Petershausen, weil er diesen spirituellen Rückhalt brauchte. Würde Gebhard nicht uns Heutigen sagen: „Flattere nicht wie das Federvieh und rufe dauernd: Ich habe so viel zu tun, ich habe keine Zeit, ich bin so gestresst, ich habe keine Ruhe… Auf die Dauer verlierst du dich selbst, und das Burnout winkt. Schaffe dir Oasen des Atemholens. Das braucht deine Seele!“

Viele machen sich Sorgen, ob sie im Winter warm genug haben. Aber es beschäftigt sie weniger, ob auch ihre Seele genügend Energie bekommt. Für mich sind das Gebet oder die Sonntagsmesse so ein Ort, wo ich die Stücke, in die ich während der Woche auseinanderfalle, wieder zusammensetze. Im Blick auf den Hl. Gebhard erahnen wir ein bisschen, was uns wohl täte.

Vikar Elmar Simma, Rankweil
Vikar Elmar Simma, Rankweil