Der Briefträger: “Das muss Liebe sein”

Simon und Magdalena, beide gehandicapt, lieben sich mächtig. Es funkte vor zweieinhalb Jahren im Tanzkurs.
Silbertal Das Ehepaar Zudrell wünschte sich eine große Familie. Das Schicksal beschenkte Eugenie und Ludwig zunächst mit zwei gesunden Söhnen. Aber das Paar wollte noch weitere Kinder in die Welt setzen und mit Liebe großziehen. Doch es kam anders als geplant.
„Ich hatte drei Fehlgeburten“, sagt Eugenie (58) freiheraus. Simon jedoch, der dritte Sohn, kämpfte sich mit Erfolg ins Leben. Der Bub kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. „Seine Beeinträchtigung haben Ludwig und ich gleich akzeptiert.“ Seine Krankheit wog schwerer. Die Darmerkrankung „Morbus Hirschsprung“ beschwerte von Anbeginn sein Leben. „Ein Darmverschluss und eine Blutvergiftung gefährdeten gleich nach der Geburt das Leben unseres Kindes. Zehn Tage lang wussten wir nicht, ob Simon durchkommt. Er lag drei Wochen auf der Intensivstation.“
Der Bub überlebte. Aber die Sorge um sein Wohlergehen blieb. „Bis zum Alter von vier Jahren kam es bei ihm immer wieder zu Darmverschlüssen.“
Simon trägt gerne Uniform
Weil dieses Kind immer sehr viel Hilfe benötigte, entstand zwischen Mutter und Sohn ein besonders starkes Band. Aber Simon macht es ihr auch leicht, ihn zu lieben. „Er ist sehr herzlich und dankbar. Das macht ihn so liebenswert.“ Dass er ein Lausbub und manchmal ein bisschen frech ist, sieht sie ihm nach. Das mindert ihre Liebe zu ihm nicht. Der Letztgeborene hält sie auf Trab, auch weil er mit seinen 27 Jahren immer noch ein Kind ist und dies auch ewig bleiben wird.
Menschen in Uniformen wie Polizisten oder Feuerwehrmänner haben Simon von klein auf fasziniert. Seine Eltern sorgten dafür, dass er selbst welche tragen kann und schafften verschiedene Uniformen an. „Simon hat das ganze Jahr Fasching, mal verkleidet er sich als Ritter, mal als Soldat, mal als Polizist. Als solcher hat er sich auch schon auf die Straße gestellt und Autos angehalten “, erzählt seine Mutter lächelnd.

Die Freude des Sohnes ist auch ihre Freude. Es ist nicht schwer, Simon eine Freude zu bereiten. „Zum Geburtstag wünscht er sich immer Playmobil Figuren.“ Seine Playmobil-Männchen-Sammlung im Wohnzimmer bedeutet ihm viel. „Er spielt jeden Tag mit den Figuren. Andererseits hat er seit zweieinhalb Jahren eine Freundin“, muss seine Mama über diese scheinbare Widersprüchlichkeit schmunzeln.
Simon und Magdalena (42) lernten sich beim Tanzen kennen. „Die Arbeitsgruppe Down-Syndrom veranstaltete Tanzvormittage.“ Eugenie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie ihren Sohn aus dem Tanzkurs kommen sah, händchenhaltend mit einer Frau. „Ich war überrascht, aber nicht unangenehm überrascht. Ich habe mich für ihn gefreut, dass er verliebt ist.“ Die Liebe der beiden entwickelte sich behutsam, Schritt für Schritt. „Simon lud Magdalena zum Pommes-Essen ein. Ich zahlte.“ Die Mama machte es auch möglich, dass sich das frischverliebte Paar regelmäßig sehen konnte. „Samstags habe ich Magdalena in Schlins mit dem Auto abgeholt, damit sie den Tag mit meinem Sohn verbringen kann.“ Simon fieberte diesem Tag immer entgegen. „Er hat die ganze Woche davon geredet, dass er Magdalena sehen will.“

Die Sehnsucht der beiden nacheinander wurde immer größer. „Sie telefonierten jeden Tag miteinander.“ In Liebe entflammt schickte Magdalena Simon sehnsuchtsvolle Liebesbriefe. Eugenie: „Der Briefträger brachte jeden Tag einen. Auf das Kuvert schrieb Magdalena: , Ich vermisse dich so sehr, deine Magdalena.‘ Irgendwann meinte der Briefträger zu mir: ,Das muss Liebe sein‘“. Ihr Sohn bestand darauf, dass sie ihm die Briefe sofort vorliest. „Simon freute sich riesig über die Liebesbekundungen.“
Mittlerweile verbringt das Paar jedes Wochenende miteinander. „Magdalena wartet schon auf mich, wenn ich sie abholen komme. Oft sitzt sie schon eine Stunde vorher auf der Bank vor dem Haus“, plaudert Eugenie aus dem Nähkästchen. Auch Simon kann es kaum erwarten, bis er seine Liebste wieder sieht. „Er ruft voller Ungeduld an und fragt, wo wir denn sind. Wir sollen in fünf Minuten da sein.“

Das Paar genießt seine Zweisamkeit. „Sie gehen ins Schwimmbad und spielen Uno. Manchmal holen sie auch ein Kostüm aus dem Schrank. Kürzlich haben sie Gefängnisinsassen gespielt. Wenn sie ungestört sein möchten, ziehen sie sich ins Zimmer zurück.“ Eugenie lächelt. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Jüngster einmal eine Freundin hat. „Simon denkt sogar schon daran, mit ihr zusammenzuziehen.“ Aber heiraten möchte er seine “Powerfrau” nicht wie er seiner Mama kürzlich anvertraute.