Schwierige Verhältnisse
Eine Geschichte in zehn Teilen. Teil 2
Laut war die Musik im Jugendzentrum neben dem Finanzamt, es wurde geschrien, getrunken, getanzt und geraucht. Luise und Andi standen beieinander, eine Mitschülerin stellte sich dazu und fragte:
„Seid ihr jetzt ein Liebespaar?“
„Eine Notgemeinschaft“, sagte Andi.
Luise hätte sich etwas Schöneres von Andi erwartet. Sie nahm sich vor, ihm in Zukunft aus dem Weg zu gehen. Eine Notgemeinschaft hatte sie bereits.
Ihrer Mutter ging es nicht gut, sie musste eine Arbeit finden. Es war bisher nicht nötig gewesen zu arbeiten, ihr Mann hatte genug verdient. Auch das hatte sich Luise angewöhnt: An ihren Vater nur noch als den Mann ihrer Mutter zu denken.
Weil der Mann einfach verschwunden war, seine Frau aber nicht angeben konnte, wo er war, nicht einmal, ob er noch lebte, blitzte sie bei seiner Arbeitsstelle ab. Man müsse zuwarten, hieß es, erst seit einem halben Jahr sei er nicht mehr aufgetaucht. Privat sei das das sicher eine große Sache. Geschäftlich aber könne erst nach einem Jahr entschieden werden, was zu tun sei. Dann wäre eine Abfindung eventuell möglich.
Sie hatte Französisch studiert, hin und wieder Übersetzungen gemacht, nie im Schuldienst gearbeitet, wie ihr Mann ihr immer wieder empfohlen hatte, wahrscheinlich hatte er schon lange geplant, sich abzuseilen. Also, was war sie, jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren mit ihm zusammen? Das Wort Ehe hatte sie sich abgewöhnt.
„Ich könnte es in der Wäscherei versuchen, die an der Ecke suchen eine Büglerin.“
„Mein Gott, Mama, eine Büglerin! Willst du dir das antun?“
„Willst du verhungern?“
Sie bekam die Arbeit und bügelte täglich von 7 bis 15 Uhr.
Luise versteckte sich vor Andi, er ging ihr nach, in der Bahnunterführung fing er sie ab.
„Sei nicht kindisch“, sagte er, „wir sollten uns verbünden.“
„Notgemeinschaft“, flüsterte Luise.
Sie versuchte sich freizumachen. Andi war ganz nahe an ihrem Gesicht. Er roch nach Red Bull.
„Luise“, flüsterte er zurück.
„Ich glaube dir kein Wort“, sagte sie.
Da gab er ihr einen Kuss.
Sie rangelten, und er riss ihr die Knöpfe der Bluse auf. Sie wollte wegrennen. Er hielt sie fest
„So bin ich“, sagte er. „Eigentlich bin ich zart. Aber wie ich selber sehe, eben nur eigentlich.“
Sein letzter Satz war zart gesagt, und den glaubte sie ihm. Sie bückte sich, um die Knöpfe am Boden zu suchen. Sie waren klein und schimmerten. Aber nur bei Licht, und in der Unterführung war keines. Man sah sie kaum zwischen den Steinplatten.
Andi half ihr.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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