Das können wir von Jägern und Sammlern lernen

Die Kultur- und Sozialanthropologin Bettina Ludwig war zu Gast in der Stadtbibliothek.
Dornbirn Die wenigsten werden schon mal von den „Ju/’Hoansi San“ gehört haben. Nach dem Besuch von Bettina Ludwig in der Stadtbibliothek Dornbirn sind es ein paar mehr. Die Kultur- und Sozialanthropologin aus Oberösterreich forscht auf dem Gebiet der Jäger-Sammler-Gesellschaften und verbringt regelmäßig Zeit mit den Ju/’Hoansi San in der namibischen Kalahari-Wüste. Mithilfe der Erkenntnisse aus ihrer Forschung möchte sie zeigen, dass Menschen vielfältige Möglichkeiten haben, sich zu organisieren. „Es kann sein, dass Ihr Weltbild am Ende des Abends auf dem Kopf steht“, meinte Simone Kothgasser von der Stadtbibliothek zur Begrüßung.
Unterschiedliche Konzepte
Zu Beginn ihres Vortrags verriet Bettina Ludwig die Antriebsfeder hinter ihren Forschungen: „Seit meiner Kindheit versuchen Leute, mir die Welt zu erklären. Ich wollte der Sache selbst auf den Grund gehen und bin draufgekommen, die ,echte‘ Welt gibt es nicht. Vielmehr beschäftige ich mich jetzt damit, wie verschieden die Menschen auf der Welt leben.“ Die Gemeinschaft der Ju/’Hoansi San, die in Kleingruppen von rund 60 Personen leben, funktioniert zum Beispiel ganz anders, als wir es gewohnt sind. Besitztum, Vergangenheit, Zukunft und Hierarchie sind Konzepte, die es in dieser Jäger-Sammler-Gesellschaft nicht gibt.
„Für die Menschen in der Kalahari-Wüste hat nur Relevanz, was in der Gegenwart passiert. Ihr Zahlensystem geht auch nur bis fünf“, erzählte Bettina Ludwig. Alles, was die Gemeinschaft betrifft, wird gemeinsam entschieden, es gibt keinen klassischen Anführer. „Was mich am meisten überrascht hat, ist, dass die Ju/’Hoansi San kein Konzept von Besitztum haben. Was sie haben, gehört allen und wird auch nicht gehortet“, erklärte die Autorin. So wurde zum Beispiel auch der Tabak, den sie als Gastgeschenk mitgebracht hatte, unter alle verteilt und sofort konsumiert.
Optimistische Zukunftsvision
Der Schluss, den die Anthropologin aus ihren Beobachtungen zieht, ist, dass Menschen vor allem kulturell bedingt handeln, und nicht, „weil sie eben so sind“. „Es kursieren viele Annahmen und Überzeugungen darüber, was den Menschen ausmacht. Dabei ist die menschliche Organisation ein viel größeres Konzept, als man auf Anhieb denkt“, sagt Ludwig. Aus ihrem Blick von außen auf andere Gesellschaftsformen entwickelt sie eine optimistische Zukunftsvision. „Optimismus ist trotz aller Zukunftsängste essenziell. Wenn für manche Menschen die Idee von Besitztum nicht existiert und Hierarchie nicht Teil der gesellschaftlichen Organisation ist, was können wir in der Gesellschaft hier dann alles ändern und anpassen? Zukunft braucht den Mut, Kultur neu zu denken.“
Mehr zu ihrer Vision für die Gesellschaft und den Möglichkeiten, sich die Welt selbst zu erklären und zu gestalten, verrät Bettina Ludwig in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Der Zukunft auf der Spur“. LCF