Schwierige Verhältnisse
Eine Geschichte in zehn Teilen. Teil 4
Andi saß mit seinem Vater am Küchentisch, leere Bierflaschen hatten sie vor sich.
Der Vater fragte: „Was tätowiert man sich so?“
„Nur Idioten tätowieren sich, kein Mensch mit Prinzipien tut das.“
„Hast du Prinzipien, Sohn?“
„Jedenfalls will ich nicht so ein Scheißleben wie du, und mir haut auch keine Frau ab.“
„Vorsicht, Sohn!“ Das war neu. Dass der Vater nicht mehr seinen Namen sagte, sondern „Sohn“. „Deine Mutter hat einen schlechten Charakter. Ich nicht.“
„Das“, rief Andi aus, „könntest du dir auf den Rücken tätowieren lassen. Ich habe keinen schlechten Charakter.“
Andi räumte mit Schwung die Bierflaschen vom Tisch. Und ging. Sein Vater kehrte die Scherben zusammen.
Spät in der Nacht, oder war es schon am Morgen, wachte Luise auf und hörte Schritte und Stimmen.
Luises Mutter und ihre Freundin Charlie, die Schweizerin, hatten vor dem Tanzlokal auf ein Taxi gewartet. Ein Typ, mit dem sie beide getanzt hatten, bot sich an.
„Auf einen Absacker?“
Sie nahmen ihn mit hinauf in die Wohnung, die Frauen waren angetrunken, der Typ besoffen. Er setzte sich zwischen sie auf das Sofa, umarmte erst die eine, dann die andere.
Und da stand Luise in der Tür.
„Mama, bist du verrückt geworden!“
Der Typ streckte seine Hand nach Luises Busen aus. Die Mutter begann zu schreien, die Schweizerin stimmte ein. Der Mann rannte davon, ließ die Wohnungstür offen. Die beiden Frauen lachten und fielen sich in die Arme.
Wenn ich so werde wie die beiden, dachte Luise, dann bring ich mich um.
Sie überlegte sich, die Schule zu schwänzen. Andi saß an der Bushaltestelle.
„Gehen wir ein Stück“, sagte er.
Einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Das war die Lösung: So tun, als hätte man sich gerade erst kennengelernt.
„Ich lade dich auf einen Kakao ein“, sagte er.
Kakao war immer gut.
Sie saßen in dem Damencafé, und schauten einander zu. Er grüne, sie blaue Augen.
„Löwinnen haben gelbe.“
„Ein ausgewachsener Löwenmann wiegt dreihundert Kilo.“
„Wieviel hast du?“, fragte Luise.
„Über sechzig, und du?“
„Über fünfzig.“
Luise las von ihrem Handy ab: „Der Goliathfrosch hat 110 Gramm.“
„Wir könnten abhauen“, sagte Andi. „Sambia klingt gut.“
„Sambia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt“, las Luise, „von 100 Menschen müssen 64 mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen.“
„Dann nicht.“
„Bei Gefahr versucht der Goliathfrosch entweder abzutauchen und sich in tiefen Flusslöchern zu verbergen, oder er stellt sich tot.“
„Magst du noch einen Kakao?“
„Ich hab’ mir eben die Zunge verbrannt.“
„Wenn ich so werde wie die beiden, dachte Luise, dann bring ich mich um.“
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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