Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Jeder ist nun seines Glückes Schmid

Vorarlberg / 19.10.2022 • 22:25 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Zu jung, zu intelligent, zu schön. Die berühmt-berüchtigten Worte Karl-Heinz Grassers, der auch bis heute die Justiz beschäftigt, müssen angesichts der Causa rund um Sebastian Kurz erweitert werden. Zu schön, um wahr zu sein. Österreich liebt das vermeintlich Perfekte. Und stellt zu oft erst hinterher fest, was eigentlich abgelaufen ist.

„Ein für mich ganz wesentlicher Punkt, der mich auch zum Umdenken bewegt hat, war, dass meine Mutter zu mir gesagt hat, wir haben dich so nicht erzogen, wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu und das mit allen Konsequenzen.” Thomas Schmid, der mit seinen Chats ein abstoßendes Sittengemälde der verlotterten österreichischen Innenpolitik selbst mitgezeichnet hat, packt angeblich auf Geheiß seiner Mama aus.

Gesagt werden muss: wäre allein das Strafrecht das Maß, wären alle, die gerade nicht im Gefängnis einsitzen, als Bundeskanzler bestens geeignet. So werden höhere moralische Grundsätze ins Treffen geführt, die Politiker auszeichnen sollen. Viel geblieben ist von dieser Hoffnung nicht. Mehr Nullpunkt geht für die ÖVP nicht, obwohl sie derzeit weiterhin an den Schalthebeln der Macht sitzt.

Willkommen in der neuen Runde im schwarzen Schlamm-Catchen: es geht nun darum, möglichst viele mit in den Untergang zu reißen und keinesfalls zuzulassen, dass Thomas Schmid sich als Kronzeuge aus der Affäre zieht. Dabei kommen Methoden zum Einsatz, die man – wenn nicht aus Mafia-Filmen – aus der Ibiza-Affäre kennt.

Aus dem Schmid-Protokoll, zum letzten Treffen mit Sebastian Kurz im Oktober 2021. „Ich habe davor mit BLÜMEL telefoniert und ihn gefragt, ob er wisse, was KURZ wolle und ob dieser verwanzt sei. BLÜMEL teilte mir mit, dass auch KURZ ihn angerufen habe und gefragt habe, ob ich verwanzt sei. BLÜMEL hat dann gemeint, wenn wir schon so weit sind, dass es dann ohnehin schwierig wird.” Der ehemalige Finanzminister Gernot Blümel, der heute in Liechtenstein arbeitet und in Zürich wohnt, sollte recht behalten. Es wurde unglaublich schwierig.

Kurz nahm ein Telefongespräch mit Schmid gleich selbst auf. Mit dem Mitschnitt, der am Mittwoch als Abschrift ausgespielt wurde, soll Schmids Aussage wenn nicht widerlegt, jedenfalls torpediert werden.

Ob Kurz oder Schmid lügt, muss die Staatsanwaltschaft einordnen – und Gerichte werden dies klären müssen.

Für die ÖVP sind das erneut Schicksalstage. Bundeskanzler Karl Nehammer hat es, wie viele ÖVP-Regierungsmitglieder und Parteigranden vermieden, sich zu klar von Sebastian Kurz zu distanzieren. Kurz ist nicht nur eine brandgefährliche Hypothek für die ÖVP, so un-türkis sie sich heute geben will. Denn die Macht hat Nehammer allein von Sebastian Kurz vererbt bekommen.

Besichert wird die Macht von den Grünen, die sich tapfer jede Krise und jede Affäre gefallen lassen, angeblich der Stabilität willen.

Österreich hat mitten in all den bedrohlichen Krisen eine Regierung, deren Seniorpartner nahezu täglich aufs Neue von Details aus der Vergangenheit eingeholt wird. Diese Regierung ist auf Treibsand gebaut.

Gerold Riedmann

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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.